Wolfgang Mainka

Dienst in der Spezial-Küstenartillerieabteilung
Ein Beitrag von Stabsmatrose Wolfgang Mainka

Vom 16.12.1962 bis 29.11.1965 habe ich, Jahrgang 1943, in der S-KA Abteilung der VM gedient; heute bin ich Rentner. Schon als Kind träumte ich davon, später mit einem Schiff über die Meere zu fahren. Dementsprechend war alles, was mit der Seefahrt zusammenhing, für mich interessant. Noch während der Lehrzeit meldete ich mich für den freiwilligen Dienst bei der VM und wurde schließlich im November 1962 einberufen. Die ersten Tage auf der Flottenschule der VM in Parow bei Stralsund waren äußerst: stressig. Einen solchen strengen Tagesablauf war ich bis dahin nicht gewöhnt. Am Tag der Kommissionierung kam dann die  Ernüchterung. Da im November 1962 vor dem Hintergrund der Eskalierung der politischen Lage mehr als die sonst übliche Anzahl angehender Soldaten eingezogen wurde, bestand ein Überangebot. Unsere Gruppe trat unglücklicherweise als letzte zur Kommissionierung an – fast alle gewünschten Posten waren also schon besetzt. Durch die Funktauglichkeitsprüfung war ich leider durchgefallen. Da stand ich nun vor der Kommission. Ein paar höhere Dienstgrade blätterten in meinen Unterlagen. Dann die Entscheidung: “Küche”. Ich, für den nichts anderes in Frage kam als die Seefahrt, sollte drei lange Jahre Kartoffeln schälen, Suppen umrühren und schmutziges Geschirr abwaschen!? Für mich brach eine Welt zusammen, ich wollte wieder nach Hause. Ich hatte den Beruf eines Dampflokschlossers gelernt. Meine Lehrkumpels, auch Dampflokschlosser, waren für den Dienst auf den Küstenschutzschiffen in Saßnitz vorgesehen. Und ich sollte in die Küche. Ich gab mir alle Mühe, die Offiziere der Kommission umzustimmen. Vielleicht hatten sie Mitleid, oder waren einsichtig, jedenfalls änderten sie die Küche in Feuerwehr mit der Begründung: „Na gut, gehen Sie zur Feuerwehr, da haben sie auch mit Maschinen zu tun.” Und so landete ich bei der Feuerwehrtruppe. Dort war ich der Jüngste und der einzige Freiwillige. Die meisten waren Mitte 20 oder älter und hatten zum Teil schon Familie. Aufgrund der gerade erst eingeführten Wehrpflicht wurden ja zuerst besonders die älteren Semester bevorzugt einberufen. Die Motivation war natürlich entsprechend. Bei der infanteristischen Ausbildung blieb mancher gleich erstmal einfach liegen: „Genosse Maat, ich kann nicht mehr!” Jetzt war guter Rat teuer. Der Genosse Maat war nur ein halbes Jahr älter als ich und damit jünger als seine anderen Schützlinge. Außerdem hatte er gerade erst die Maatausbildung beendet. Also konnte er nur so reagieren: „Genosse Matrose, erholen Sie sich 1 Minute, dann machen wir weiter.” Er gab sich auch redliche Mühe, den Älteren Links- und Rechtswendungen sowie den Gleichschritt beizubringen. Nur Herumkommandieren hätte ohnehin nichts gebracht. Auch wenn ich das Küken war, ich fühlte mich wohl in der Truppe. Ein Wort noch zur Kantine in der Flottenschule Parow. Noch nie hatte ich eine solche verqualmte und knackenvolle Bude erlebt wie hier. Als lebenslang konsequenter Nichtraucher hat mich das ungemein negativ beeindruckt. Die in diesem Qualm oberkörperlosen Gestalten werde ich nicht vergessen. Zum Ende der Grundausbildung bekam unsere Feuerwehrtruppe ihre Marschbefehle. Da gab es schon lange Gesichter. Einige gingen nach „Neue Technik Kühlungsborn”, einige nach „Neue Technik Peenemünde”. Durch meine Kameraden wurde mir das dann so übersetzt: „Neue Technik bedeutet Raketen, da bist du in den A… gekniffen! Geheimnisträger, da bist du nur auf der Platte. Mustertruppe, kaum Ausgang. selten Urlaub!” Am 16.12.1962 nahm unser Maat die ihm anvertrauten frisch ausgebildeten Matrosen und brachte uns nach Kühlungsborn. Inzwischen hatten wir schon„ richtigen Winter. In der alten Wehrmachtsdienststelle, einige Zeit auch FlottenschuIe II der VM, wartete die neu zusammengestellte S-KA Abteilung auf die Anlieferung der „Neuen Technik”. Unsere kleine Feuerwehrtruppe war erst mal der TB unterstellt. Man brachte uns in den Räumen über der Kombüse unter und ließ uns in Ruhe. Die TB hatte erst mal mit sich zu tun, die Anlieferung der Technik stand ja an. Dazu musste noch einiges organisiert werden. Die nächsten Tage verbrachten wir mit Vorbereitung und Einrichten der Unterkünfte, mit Fegen und Saubermachen, mit Spinde und Kojen bauen. Allerdings hatte uns noch niemand gesagt, für wen. Die Tage bis Weihnachten vergingen. Die Urlaubsscheine waren schon geschrieben, für mich auch einer. Da gab es plötzlich Aufregung. Die „neue Technik” war da und musste in die Dienstelle gebracht werden (es muss der 22./23.12.1962 gewesen sein). Sofort wurde der Urlaub gestrichen sowie auf den Bahnhöfen Kühlungsborn und Bad Doberan die Fasturlauber wieder eingefangen. Und dann ging es bis in die Nacht. Ich war kurzerhand als UvD -Läufer eingeteilt worden und dadurch nicht so gestresst. Die Außentemperaturen hatten in den letzten Tagen ziemlich angezogen. Es gab dadurch schon die ersten Erfrierungen. Ich denke, die Bekleidung entsprach in diesen Tagen wohl noch nicht den realen Erfordernissen. Kulani, Knobelbecher und Käppi waren da wohl nicht ganz zweckmäßig. Soweit ich mich erinnere waren Watteanzüge, Filzstiefel, Pelzmützen noch nicht für das gesamte Personal vorhanden, bzw. bei der Marine verpönt. Wir waren eben Seeleute und ein Seemann friert nicht – der zittert höchstens vor Wut. Und dann wurde das Weihnachtsfest nachgeholt. Dieses Weihnachtsfest hat noch kein „Damals dabei gewesener” vergessen. Unsere sowjetischen Ausbilder waren begeistert und Towarischtsch Kapitan Sorokin meinte beeindruckt: „Deutsche Weihnacht – Schöne Weihnacht!” Das habe ich heute noch im Ohr. Silvester gab es dann doch endlich den ersten Urlaub. Der ganzen Familie musste ich mich in meiner schönen Marineuniform vorstellen. Mein Großvater war besonders stolz auf mich.

Einsatz als Richtkanonier

Anfang Januar 1963 stellte ich beim Chef der TB einen Versetzungsantrag zur „kämpfenden” Truppe, der dann auch genehmigt wurde. Ich wurde als Richtkanonier in die 1. Startbatterie versetzt. Der Januar begann für mich mit Eingewöhnen in eine Truppe, in der sich fast alle schon von der Flottenschule oder der Laufbahnausbildung kannten. Natürlich waren die meisten ausgebildete Artilleristen, während ich als Ungelernter, als Feuerwehrmann, dazu kam. Mit der Technik kamen die sowjetischen Instrukteure. Für die Startrampen „B-163″ und die Raketentransportfahrzeuge „PR-15″ waren es Unteroffiziere. Die Jungs hatten alle die gleichen grünen Anzüge an, waren aber alle nette Kerle. Zuerst mussten wir uns mit der Technik bekannt machen, dazu kamen theoretische Unterweisungen. Der Winter 1962/63 war der seit langem kälteste an unserer Ostseeküste. Soweit der Blick reichte, eine einzige Eisfläche. Die Ostsee soll bis zu den dänischen Inseln zugefroren gewesen sein. Unter diesen Bedingungen war die praktische Ausbildung an unserer offenen Technik entsprechend hart. Besonders die Bedienungen der Startrampen hatten ständig blaue Nasen. Man konnte auch nicht immer mit Handschuhen arbeiten. Wir beneideten die Besatzungen der Vorstartkontroll-Kfz und der Radarstationen. Aber wir durften noch nicht mal zum Aufwärmen dort hinein. Wir hätten ja was abgucken können. Die zwei Startrampen standen in geringem Abstand nebeneinander. Als dann später die Triebwerke der Raketen „S-2″ auf den Startrampen angelassen wurden, schmolzen Schnee und Eis. Allmählich wuchs aber dafür hinter den Rampen die Eisdecke immer schneller und höher. Das bereitete wieder den Fahrern der Raketentransportfahrzeuge Probleme beim Andocken an die Rampe. Wenn die Hänger dabei seitlich wegrutschten, war wieder mal Zeit zum Eishacken. Dann standen wir fast alle in einer Reihe und bearbeiteten mit Spaten das Eis. Natürlich hatte die Kühlungsborner Bevölkerung gesehen, dass sich in der Dienststelle am Rieden (See) was getan hatte. Die Kolonnenfahrten der schweren Technik durch Kühlungsborn-West waren sicherlich nicht unbemerkt geblieben. Als dann die russisch sprechenden Jungs in ihren grünen Anzügen mit den „Seemollis” in den Gaststätten auftauchten, machten sich viele Bürger ihren Reim darauf. Später, als dann öfter die Turbinen der Raketen „S-2″ liefen, wurde noch mehr gemunkelt. Das Eis hielt sich auf der Ostsee fast bis Ostern. Bei entsprechendem Wetter wurden die Sportstunden und andere Bewegungsübungen an den Strand verlegt. Während draußen auf der See noch die letzten Eisschollen schwammen, wagten sich die ersten Mutigen schon mal ins Wasser – als Mutprobe. Der Ausbildungstand festigte sich, die Instrukteure verließen uns und wir machten unser Ding allein. Wir lernten den Umgang mit der Technik bis zum Automatismus. Deshalb wurde beinahe täglich geübt, auch, oder besonders, unter widrigen Bedingungen. Dazu gehörte auch die Ausbildung im Schutz vor MVM. Wer gedient hat weiß, was es bedeutet, unter Schutzmaske anstrengende körperliche Arbeit zu leisten. Und da wurde auch schon mal versucht, sich die Sache leichter zu gestalten, wie z. B. durch das Abschrauben des Schlauchs vom Filter. Natürlich blieb das selten unentdeckt, irgendwann kamen unsere Vorgesetzten immer dahinter. Außerhalb des Technikparks standen die leeren Container, in denen die Raketen „S-2″ transportiert worden waren. Sie waren innen mit besten 3 mm dicken Sperrholztafeln verkleidet und dienten zur Lagerung aller möglichen Dinge. Da kam doch tatsächlich jemand auf die Idee, einen dieser Container für die Schutzausbildung zu nutzen und mit Tränengas zu füllen. Und so passierte es, dass beim Marsch von der Ausbildung in die Unterkunft in Höhe der Container des Öfteren das Kommando „Rechts schwenkt, marsch!” gegeben wurde. Dann ging es in diesen Kasten und das waren für viele von uns die Minuten der Wahrheit. Länger als 3 Minuten konnte keiner die Luft anhalten. In die S-KA Abteilung kam ich als potentieller Feuerwehrmann und ließ mich selbst in eine Gefechtseinheit versetzen. Später habe ich oft an der Richtigkeit meines Entschlusses gezweifelt, wenn wieder mal außerplanmäßiges Wacheschieben angesagt war. Wir hatten zwar eine Wacheinheit, aber ihre Technik mussten die Gefechtseinheiten selbst bewachen. Das bedeutete für uns, mindestens einmalwöchentlich, wenn nicht öfter, auf Wache zu ziehen. Dabei konnten die Jungs von der Wacheinheit uns beim Üben über die Mauer zusehen. Diese Mauer grenzte den ehemaligen dahinterliegenden Campingplatz vom Fahrzeugpark ab. Vermutlich wegen der Stationierung der S-KA Abteilung wurde der Campingplatz noch mehr zurückverlegt, um so eine breitere Pufferzone zu schaffen. Diesen ca. 300 m breiten grünen Streifen nutzte die S-KA Abteilung, um Infanterieübungen auszuführen. Eines Tages war auch die 1. Startbatterie wieder mal dran, „Sprung auf, vorwärts!” zu üben. Wir sausten in Schützenlinie durch den Busch. Dieser Streifen war ja nach der Verlegung des Campingplatzes schon wieder ziemlich zugewachsen. Auf das Kommando „Stellung, Eingraben!” mussten wir uns eingraben. Um Zeit und Kraft zu sparen war dabei jeder bestrebt, bereits vorhandene Löcher u.Ä. zu nutzen. Alle waren am Buddeln, da schrie plötzlich jemand zwischen den Büschen „Scheiße”. Er hatte recht. Er hatte sich in eine Kuhle geworfen, die sich als eine ehemalige, aber nur leicht zugeschüttete Toilettengrube erwies. In der Folgezeit hieß er bei uns nur noch der „Goldsucher’.

In das Frühjahr 1963 fiel eine Maßnahme, die auch dem letzten klar machte, dass wir eine landgestützte Kampfeinheit der VM waren. Das war die farbliche Umwandlung unserer Bekleidung: Unsere Stahlhelme wurden grün gespritzt und wir bekamen Flecktarnanzüge verpasst. Dazu erfolgte die Umrüstung von der „MPi-41″ auf die „MPi-K” („Kalaschnikow”). Für manchen „Seemann” war das wirklich das „Aus” Aber die Marinen anderer Staaten hatten ja auch Landeinheiten. Unsere Reaktion darauf war einfach: Die Tarnjacken wurden nicht geschnürt, die Magazintasche locker hinten getragen und die „Kalaschnikow” trugen wir über der Schulter am langen Riemen lässig in Hüfthöhe, immer feuerbereit wie ein Cowboy mit seinem Colt. Diese neue, durch uns erfundene Anzugsordnung wurde natürlich nicht lange geduldet. Das Herbstmanöver bei Peenemünde auf der Insel Usedom empfinde ich heute noch als kleines Abenteuer. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir dort in Zelten geschlafen hätten. Dabei war es doch schon ziemlich frisch, Anfang September. Wir haben uns Reisig in unsere Zeltbahnen gestopft, in einer Ecke geschlafen, mit kaltem Ostseewasser rasiert. Für die Tarnmaßnahmen wurde ein halber Wald verstümmelt, bzw. versetzt. Es war schon interessant, in einem mit Reisig zugedecktem Loch zu hocken und den über uns kreisenden Beobachtungshubschrauber ins Visier zu nehmen.

Raketenschießabschnitte und Dienstende

Das Jahr 1964 ist mir hauptsächlich durch den 1. Raketenschießabschnitt der VM in Erinnerung geblieben. Alle diese Maßnahmen unterlagen immer einer hohen Geheimhaltung. Ein Raketenschießen sollte schon 1963 stattfinden, wurde aber wegen der angespannten internationalen Lage abgesetzt. Diejenigen, die für diese wichtigste Ausbildungsmaßnahme ausgesucht wurden, waren hoch motiviert und bereit, ihr Bestes zu geben. Für mich waren dieser erste Auslandseinsatz und die damit verbundene Seereise beeindruckend. Nach der Überfahrt auf dem Landungsschiff der VM in die Flottenbasis Baltijsk im Kaliningrader Gebiet fuhr unsere Fahrzeugkolonne sofort nach dem Entladen unerkannt (!?) in das Schießgebiet bei Donskoje, im Nordosten des Kaliningrader Gebiets. Da auf den dortigen Landstraßen keine Kettenfahrzeuge fahren durften, wurde unsere schwere Technik von Lkw „KRAZ-214″ gezogen. Der Transport unseres Personalbestands erfolgte auf mit Planen abgedeckten Lkw. Es war für uns alle doch schon eine besondere Situation, als NVA-Angehörige, aber trotzdem eben als deutsche Soldaten, fast 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg dort wieder militärisch zu agieren. Wir waren uns dieser komplizierten Situation durchaus bewusst und unser Auftreten war dementsprechend vorbildlich. Dieser 1. RSA der VM 1964 war eigentlich wie ein größeres Manöver angelegt. Es war der erste Gefechtseinsatz der neuen Raketen „P-15« und „S-2′ Mit uns im Feldlager lag eine polnische Abteilung des KRK „Sopka” Außer Raketenschnellbooten der VM sollten ebenfalls polnische schießen. Die Vorübungen liefen zufriedenstellend ab, es kam der Tag der Wahrheit. Als Richtkanonier gehörte neben dem Auftanken auch der Austausch einer normalen Sicherung gegen eine Brückensicherung in der Rakete zu meinen Aufgaben. Das Auftanken war ja kein Problem, 801 Kerosin rein in die Rakete und zuschrauben. Die nicht maximale Betankung war eine reine Sicherheitsmaßnahme. Um jetzt die oben genannte Sicherung auszuwechseln, musste ich mir das Werkzeug, einen Zehner-Maulschlüssel, zur Sicherheit mit einer Schnur am Handgelenk festbinden, die beiden Befestigungsmuttern lösen, die Sicherung durch die Wartungsklappe (Durchmesser 10-12 cm) heraus fädeln, die Brückensicherung durch die Öffnung zurück fädeln, die Muttern wieder darauf drehen und anziehen. Dieser Vorgang wurde protokolliert, der erfolgte Wechsel dieser Sicherung diente als letzter Beweis dafür, dass die Rakete startbereit war. Wir haben beide mächtig geschwitzt, mein Zugführer und ich. Wenn mir eines dieser Teile in die Zelle der Rakete gefallen wäre, hätte man das ganze Heckteil abziehen müssen, um es wieder zu finden. Dann folgten das Beladen der Startrampe, die Zielsuche und alle weiteren Handlungen. Als Letztes erfolgte die Startfreigabe und der Vogel zischte los. Wir konnten noch sehen, wie das Startriebwerk abfiel. Danach schoss die 2. Startbatterie. Kurze Zeit nach dem 2. Start kam die Hiobsbotschaft: Kein Treffer.

Einsätzen des Gefechtskopfes in die Rakete "S2" Modell: WM

Aus dem FLZ kam die Nachricht, dass unsere Raketen normal auf das Ziel eingeschwenkt seien dann aber ins Wasser gestürzt wären. Mit einem Fernglas konnte man das auch optisch beobachten. Alle waren fassungslos und enttäuscht: Was war geschehen? Warum hatten unsere Raketen nicht getroffen? Nach der Auswertung wurde der angetretenen Abteilung mitgeteilt, dass dieses Negativergebnis auf organisatorische Fehler zurückzuführen sei. Die Raketen der RS-Boote hätten die Ziele so zerschossen, dass für unsere Raketen nicht mehr genügend Reflexionsfläche übrig blieb. Großer Appell, dann Einschiffung und Heimreise. Auf der Überfahrt nach Warnemünde kamen wir in schlechtes Wetter und es ereignete sich noch eine Havarie: Beim Ankern fuhren zwei Landungsschiffe bei dunkler Nacht und Nebel auf das führende auf. Große Aufregung und viel Arbeit, aber am Morgen ging es weiter. Das war der Abschluss des 1. Raketenschießabschnitts der S-KA Abteilung.

Im 2. Ausbildungshalbjahr 1963/64 wurde eine Gruppe von Angehörigen der S-KAA den Marinepionieren der VM zugeteilt, um am Ausbau einer Feuerstellung für den KRK „Sopka” auf der Insel Rügen in der Gegend um Prora mitzuwirken. Die Pioniere machten die grobe Arbeit: Bäume fällen und Stellungen für die einzelnen Fahrzeuge ausschieben bzw. -baggern. Für uns blieb die „Restarbeit”: Stubben roden und die Wände für die Unterstände absteifen. Eigentlich eine schöne norddeutsche Landschaft.  Aber nach ein paar Tagen waren einige Buchen weg und dafür große Löcher in der Landschaft, nur die Stubben waren noch da. Eine Buche, die bereits mehrere hundert Jahre alt war, hatte einen Stammdurchmesser von bis zu 80 cm und einen Wurzelbereich von ca. 8 m Länge. Da in der Nähe dieser Stellung ein trigonometrischer Punkt aufgebaut war, durfte nicht gesprengt werden, jedenfalls nicht gleich. Wir mussten uns nur mit Handarbeit unter den Wurzeln durch buddeln. Die Hauptwurzeln waren manchmal so stark wie mittlere Bäume. Dann wurden Stahltrossen durch die Löcher unter den Stubben durchgezogen, die „AT-S” angespannt und versucht, das Ganze herauszuziehen. Wenn diese Methode nicht erfolgreich war, wurden noch mehr Löcher gebuddelt, eine zweite „AT-S” angespannt und noch mal gezogen. Wenn der Stubben sich immer noch nicht regte, wurde er erst mal in Ruhe gelassen. Die Tage vergingen, der Fertigstellungstermin drückte, eine Lösung musste her. Sprengen. Die Genehmigung wurde erteilt. Die Ladungen wurden angebracht und gezündet. Dieser Gewalt hielt auch kein Stubben mehr stand. Dann hatten auch die „AT-S” leichteres Spiel. Die Stubben wurden mehrere hundert Meter weggezogen, die dicken Stammteile durfte sich der Förster holen, das Kronenholz wurde nur zur Seite geschoben. Unsere Aktionen im Wald waren wahrscheinlich so geheim abgelaufen, dass der Kommandeur der Garnison Prora davon nichts gemerkt hatte. Nachdem die Stellung fertig war, zog die S-KA Abteilung ein und führte das erste Sommerlager aus. Inzwischen war das Gelände auch umzäunt, um Zuschauer und Pilzsucher fernzuhalten. Wir bauten unsere Zelte auf und führten den Dienstbetrieb aus. Der Kasernenwachdienst wurde in einen Streifendienst umgewandelt. Nun wussten die Proraer Kommandeure wahrscheinlich nicht, dass inzwischen auch „Seemollis” in ihrem Wald waren. Und so wurden ihre Truppen weiter so ausgebildet wie bisher, auch im Schießen aus dem fahrenden SPW. Deshalb wurde dem Streifendienst erlaubt, sich hinter Bäumen zu verstecken, wenn es unten auf der Wiese knallte. Seitdem weiß ich, wie es sich anhört, wenn eine MG- oder MPi-Garbe durch die Bäume zwitschert. Es kam auch vor, dass sich mal eine Kugel in Richtung Zelte verirrte. Ein Kamerad fand in den Decken seines Feldbetts mal ein Geschoß der Einheitspatrone 43. Zum Glück haben die Jungs in dieser Zeit nur tagsüber geschossen, wenn wir selbst bei der Ausbildung waren. Als dann aber eines Tages eine Kugel den Schutzmaskenfilter unseres Kommandeurs in seiner Abwesenheit durchlöcherte, platzte ihm der Kragen. Er beschwerte sich und seitdem hatten wir Ruhe.

Seit einiger Zeit kursierten unter uns Gerüchte über die Verlegung der S-KA Abteilung nach Schwarzenpfost. Ende 1964 war es dann soweit, wir zogen um. Die neue Dienstelle mag ja für die S-KAA die bessere Alternative zu Kühlungsborn gewesen sein, für den Personalbestand war sie es nicht. Das Objekt lag mitten im Wald, der so feucht war, dass das Gelände erst melioriert werden musste. Es gab einen Bahnhaltepunkt Schwarzenpfost, an dem aber nicht jeder Zug hielt. Züge die nicht halten brauchten, fuhren bei der Durchfahrt etwas langsamer und der Zugschaffner warf dem diensthabenden Bahnbeamten die Zeitungen oder die Post in die Arme. Die Unterbringung der Mannschaften erfolgte in einer Massenunterkunft, in einer Holzbaracke. Etwa 50 Soldaten lebten und schliefen hier in einem Raum. Nebenan war gleich die Kantine. Wenn jemand vom Landgang oder aus dem Urlaub kam, nahm der natürlich den letztmöglichen Zug. Entsprechend spät kam er dann in der Dienstelle an. Ein Schalterklick in der Baracke, und meist wurden alle sofort wach.

Im Mai 1965 fuhr die S-KA Abteilung zum 2. RSA in die Sowjetunion, wieder zur Flottenbasis Baltijsk in das Feldlager Donskoje. Diesmal ohne eigene Großtechnik, da kein Landungsschiff der VM zur Verfügung stand. Das Schießen mit der von der BF geborgten Startrampe verlief erfolgreich, beide Raketen trafen ins Ziel. Nach diesem Erfolg wurde selbstverständlich auch ein Manöverball organisiert. Bei dieser Gelegenheit kamen wir das erste Mal mit der Bevölkerung des Ortes Donskoje zusammen. Im Klubhaus spielte die Musik, wer wollte, konnte mal das Tanzbein schwingen. Die russischen Mädels waren uns gegenüber aber ziemlich zurückhaltend. Überhaupt hätten wir gern mehr Kontakt zur Bevölkerung gehabt. Im Feldlager tauchten öfter mal die Schulkinder auf, um Bernsteine gegen Abzeichen jeder Art zu tauschen. So wechselten allmählich alle möglichen Abzeichen – vom einfachen Anstecker bis zur Leistungsspange – die Besitzer. Die Kinder unterschieden aber schon nach Wertigkeit. Kurioserweise war bei ihnen das Klassifizierungsabzeichen mit der Zahl III mehr wert als mit der I, der bei uns höchsten Klasse. Als kaum jemand noch Abzeichen hatte, tauchte ein Junge mit einem schönen, teilbearbeiteten Bernstein auf. Da trennte auch ich mich von meinem Klassifizierungsabzeichen. Den wirklichen Höhepunkt bildete für uns eine Exkursion nach Kaliningrad. Die Stadt war noch erschreckend stark von den Auswirkungen des Krieges gezeichnet. Und wir fielen auch auf in unserer deutschen Marineuniform. Der Rückmarsch der S-KA Abteilung verlief diesmal ohne Vorkommnisse. Der Alltag in Schwarzenpfost hatte uns wieder, mit Wacheschieben, Sommerlager usw. Ich war nun Entlassungskandidat (EK) und bereitete mich schon auf das Leben nach der Dienstzeit vor. Am 29.11.1965 war für mich die S-KA Abteilung Geschichte. Nach der Wiedervereinigung begann sich in meinem Kopf der Plan festzusetzen, die Technik meiner ehemaligen Raketeneinheit im Modell darzustellen. Ich begann mit der Rakete „S-2″ und danach weiter mit der Startrampe, alles im Maßstab 1:72, d. h., dass z. B. die Länge der Rakete „S-2″ von 7,90 m beim Modell nur noch 11-cm beträgt. Nach den Angaben von Kameraden baute ich dann die gesamte Technik einer Startbatterie der S-KA Abteilung in Modellen. Bei den meisten meiner Modelle habe ich kleine Funktionen eingebaut: „Marschlage” oder „Gefechtslage”, Räder und Antennen drehbar u. a. Alle Modelle meines Projekts KRK „Sopka” sind als Demonstration der Feuerstellung einer Startbatterie auf einer speziellen Geländeprofilplatte positioniert.

Wolfgang Mainka