Vereinte Streitkräfte und die Küstenraketentruppen

Vereinte Streitkräfte und die Küstenraketentruppen

Hiermit möchten wir auf dieses sehr interessante Buch von Kapitän zur See a.D. Fritz Minow aufmerksam machen, welches sich zurzeit noch im Vertrieb des Steffen-Verlages befindet. Es werden hier ausschließlich die Passagen wörtlich zitiert unter Angabe der Kapitelzugehörigkeit, Seitenzahlen und Quellenhinweise sowie teilweise kommentiert, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Stabes der vereinten Streitkräfte (im weiteren VSK) und den KRT der Volksmarine standen. Es sei anzumerken, das durch das Ableben von F. Minow die sich aus den Kommentaren (kursiv) ergebenden Fragen und Problemstellungen wahrscheinlich nicht mehr in dieser Konkretheit klären lassen. Ein Beweis dafür, dass es besser ist, zu Lebzeiten historische Fakten und Zusammenhänge durch die Zeitzeugen niederzuschreiben und zu diskutieren, als sich auf das dünne Eis unzulässiger Spekulationen oder Vermutungen zu begeben.

Auszüge aus dem Buch „Die NVA und Volksmarine in den vereinten Streitkräften – Geheimnisse der Warschauer Vertragsorganisation“ von Fritz Minow

Fritz Minow, geb. 1933, nach der Berufsausbildung 1950 freiwilliger Eintritt in die Seepolizei der DDR, Ausbildung zum Unteroffizier und Offizier, Einsatz im Flotten- und Stabsdienst sowie als Lehroffizier, 1962-1965 Studium an der Marineakademie, Leningrad, 1969-1974 Dienst im Stab der Vereinten Streitkräfte in Moskau und gleichzeitig 1971-1974 externe Aspirantur an der Militärpolitischen Akademie in Moskau, 1975 Promotion zum Dr. phil., ab 1974 Dienst im Stab der Volksmarine, dabei ab 1983 Zuordnung zum Auffüllbestand des Oberkommandos der Westrichtung, Mitautor des Buches “Volksmarine der DDR. Deutsche Seestreitkräfte im Kalten Krieg“. Fritz Minow verstarb am 30.09.2014.

 …Kapitel VI Zusammenarbeit in der Rüstung am Beispiel der DDR

3. Lieferungen, Leistungen und Ersatzteilbeschaffung – Seite 253

„Der Bedarf der NVA wurde von ihren Aufgaben in der VSK, den Entscheidungen der Partei- und Staatsführung und den vom Oberkommandierenden der VSK vorgegebenen und in den gemeinsamen Protokollen vereinbarten Entwicklungen der Streitkräfte bestimmt. Die gesamte kampfkraftbestimmende Bewaffnung und Ausrüstung der NVA musste importiert werden. Ein Beispiel für die Bearbeitung war die Lieferung von Seezielraketen (richtig Seeziel-Flugkörpern, im weiteren wird die Bezeichnung als Raketen fortgesetzt) an die verbündeten SSK. Die Ausrüstung mit Flugkörpern war im Dezember 1960 der NVA vom Oberkommandierenden der VSK vorgegeben und im März 1961 im gemeinsamen Protokoll der weiteren Entwicklung der NVA in den Vereinten Streitkräften vereinbart worden. Der Ministerrat der UdSSR hatte in Erlassen vom 08.06.1961, 06.07.1961 und 12.08.1961 die Lieferungen des Küstenraketenkomplexes „Sopka“ an die Streitkräfte Polens, der DDR, Rumäniens, Bulgariens und Nordkorea genehmigt, obwohl die zugehörigen Seezielraketen „S-2“ nicht einsatzbereit waren. Der Begriff „einsatzbereit“  und was darunter eindeutig zu verstehen ist, lässt sich im Original nicht genau definieren. Die weiteren Aussagen im Text deuten eine Erklärung an. Hierzu heißt es weiter… Dies war aus der geheimen Meldung von Gorschkow an Ustinov, vom 07.12.1961 zu erkennen. Mit Hinweis auf die von der Regierung der UdSSR angewiesene Übergabe von 108 Raketen „S-2“ aus den Beständen der Sowjetflotte an die Flotten der Verbündeten, die in den Jahren 1961-1962 realisiert werden sollten, schrieb  Gorschkow an Ustinov: „Im Jahr 1961 erhält die SKF  (Seekriegsflotte der UdSSR, d. Verf.) von der Industrie nur noch 20 Gefechtsraketen „S-2“ und damit wird die Produktion von Raketen „S-2“ beendet. Ein Teil der im Bestand der SKF befindlichen Raketen “S-2“, die in den Jahren 1958-1960 hergestellt wurden, hat eine zu Ende gehende zweijährige Lagerungsgarantie und die Garantiezeit für die Einlagerung ist bis Ende 1962 bei allen Raketen abgelaufen. Änderungen zur Erhöhung ihrer Betriebssicherheit, die bei den Raketen aus der Produktion des Jahres 1961 eingeführt wurden, sind nicht an allen Raketen erfolgt. Ersatzteile, Geräte und Zubehör der Raketen können nicht mehr vollständig bereitgestellt werden und der vorhandene Bestand erfordert eine nochmalige Überprüfung und Neubestimmung der Garantiezeiten für die Lagerung. Er machte den Vorschlag: „Diese Arbeiten sollten unter Einbeziehung der Vertragspartner für die Rakete „S-2“ im Werk Nr.47 des Orenburger Volkswirtschaftsrates ausgeführt werden. Ich bitte um Weisung des Staatlichen Planungsorgans der UdSSR (…) die 88 Raketen „S-2“ bis Juni 1962 im Werk Nr.47 von der Seekriegsflotte zu übernehmen.” (Quelle: Meldung von Admiral Gorschkow an Ustinov v. 07.12.61 (in russischer Sprache, Übersetzung vom Autor), RGAE,  Bestand 4372, Verzeichnis 80, Akte 350, Bl.70) Anmerkung: Nach Auskunft des früheren Befehlshaber der BRF, Admiral Jegorow, war in der BRF im Juni 1958 die erste Küstenraketenabteilung aufgestellt worden, aus der 1960 ein Küstenraketenregiment formiert wurde; s.: W.G. Jegorow (Hrsg.), Notizen aus der Baltischen Flotte (in russischer Sprache, Übersetzung vom Autor) Bd.2 Kaliningrad 1997,S.16).

Das Staatliche Planungsorgan der UdSSR erhielt dieses Schreiben am 15.12.1961 mit der Anweisung, die Fragen gemeinsam mit der Seekriegsflotte zu klären. Dies hatte zur Folge, dass die Volksmarine der DDR erst im Jahr 1964 ihre Raketen „S-2“ erhielt, obwohl im Regierungsabkommen die Lieferung der ersten 16 Raketen bereits für 1962 vereinbart worden war. Ungeachtet dessen war in Moskau am 06.09.1961 zwischen der UdSSR und der DDR das Lieferabkommen für 24 Raketen „S-2“, anderer Raketentechnik und spezieller Ausrüstungen in den Jahren von 1961 bis 1965 mit einem Gesamtwert von ca. 123.000.000 Rubel unterzeichnet worden.

Den Aussagen von F. Minow ist nicht konkret zu entnehmen, ob das sich nur auf den Flugkörper „S-2“ oder auch auf den gesamten Komplex 4K87 „Sopka“ bezieht. Mit anderen Worten heißt das: Es wurden zwischen UdSSR und DDR Regierungsabkommen abgeschlossen, die nicht vereinbarungsgemäß realisiert wurden. Die 88 „S-2“ und vermutlich die letzten in 1961 hergestellten 20 Stück „S-2“ wurden im Werk Nr.47 von der sowjetischen SKF zur „Runderneuerung“ (Nutzungsfristverlängerung) übergeben und erst dann den verbündeten Flotten zeitverzögert z.B. an die VM im Jahr 1964 übergeben. Der sowjetischen Seite war also von Anfang an klar, dass sie sich somit von einem älteren Waffensystem verabschiedet. Unter diesen Bedingungen ist es heute verständlicher, warum in den Nutzungsjahren des „S-2“-Flugkörpers bzw. des gesamten Komplexes bis Anfang der 70-iger Jahre in der VM Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung existierten. So mancher politischer Vorgesetzter in der Volksmarine würde heute seiner Argumentation über modernste sowjetische Waffensysteme in diesem konkreten Fall in einem anderen Licht sehen. Der entgegengesetzte Fall trat mit der Lieferung des Komplexes 4K51 „Rubesh“ ein, der zuerst in der Volksmarine eingesetzt wurde und dann erst in der BRF. So unterschiedlich sind die Zeiten.

4. Forderungen und Realitäten in der Rüstungsplanung und ihre Umsetzung – Seite 272

Nachdem Honecker am 16.12.1980 das „Protokoll über die Bereitschaft von Truppen und Flottenkräfte der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik in den Bestand der Vereinten Streitkräfte und ihre Entwicklung in den Jahren 1981-1985“ bestätigt hatte, war klar, dass die finanziellen Ressourcen der DDR zur Modernisierung der Streitkräfte genutzt wurden. Von Hoffmann war bei der Vorlage des Protokolls gemeldet wurden: „Alle personellen, materiellen und finanziellen Konsequenzen, die für die vorgesehene Entwicklung erforderlich sind, werden im Rahmen der vom Nationalen Verteidigungsrat der DDR am 23.11.1979 beschlossenen Größenordnungen und den dazu mit Genosse Schürer abgestimmten Kennziffern für den Zeitraum 1981-1985 sichergestellt.“ (Quelle: Brief von Armeegeneral Hoffmann an Honecker v. 08.08.80, BA-MA, DVW 1/114492, Bl. 200)

Die am 25.06.1980 vereinbarten Lieferungen konnten zur Erfüllung des Protokolls planmäßig anlaufen, dazu gehörte auch der Küstenraketenkomplex „Rubesh“ für die VM.

… Kapitel VIII  Aufbau und Formierung der Marine

2. Orientierungssuche und Entscheidungen zum Aufbau einer koalitionsfähigen Flotte – Seite 331 ff.

In diesem Kapitel wird in den für uns relevanten Bereichen der Schnellboots- und Küstenraketenkräften die o.a. Thematik aufgezeichnet. Hier nur die Aussagen zu den KRT heraus zu selektieren, kann die in Minow´s Buch aufgeführten Zusammenhänge zu diesem Thema unvollständig erscheinen lassen. Die Schiffs-Schlaggruppen (SSG) und die Küstenraketenkräfte traten in ihrer praktischen Gefechtstätigkeit immer im Zusammenwirken auf. Die Marineflieger- und die anderen Überwasserkräfte sowie die zur Marineinfantrie zu formierenden Truppenteile der LaSK werden hier aus den Ausführungen des Buches ausgelassen. Somit konnten die Ausführungen so gut wie zusammenhängend von den Seiten 331 bis 335 übernommen werden.

Der Beschluss des Ministerrates der UdSSR zur Raketenbewaffnung gab der Volksmarine die notwendige Schlagkraft. Aus der Niederschrift des Chefs des Hauptstabes über die Moskauer Gespräche mit dem Oberkommandierenden der VSK vom 01.-02.12.1960 war zu ersehen, das an die VM eine Küstenschutzbatterie (später als Küstenraketenabteilung bezeichnet) mit zwei Startrampen und zwölf Raketen noch zum Preis von 9.7 Mio. Rubel geliefert werden sollte. Nach sowjetischen Angaben gehörten zur Batterie insgesamt 174 Mann, 54 Fahrzeuge und zwölf Raketen „S-2“ mit einer Reichweite von 60-80 km. Weiter hatte Marschall Gretschko vorgegeben, für die Volksmarine vier bis sechs Raketenschnellboote (RS-Boote) zum Industrie-Erzeugerpreis von 15 bis 16 Mio. Rubel je Boot zu beschaffen. Für die RS-Boote wurde die Seezielrakete P-15 zum Stückpreis von ca. 420.000 Rubel angeboten. Der Bedarf zur Lieferung von Raketen aus der UdSSR war anzumelden. Das RS-Boot Pr. 205 sollte eine Besatzung von 26 Mann haben. Für die Rakete P-15 war eine Reichweite von 35-40 km und die Flughöhe von 70 m angegeben worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Vorbereitung der Rakete an Land erfolgt und dafür weitere zusätzliche Kräfte und Mittel erforderlich seien. (Quelle: Niederschrift über die Beratung beim Vereinten Kommando v. 01.-02.12.1960, BA-MA, DVW 1/115601, Bl.65 ff.) Außerdem übernahm die DDR alle Kosten zur Erstellung der technischen Dokumentation, für die Entsendung von sowjetischen Fachkräften zur NVA und für das Gefechtsschießen auf den Übungsplätzen der UdSSR. Die UdSSR war bereit, auf Antrag der DDR Fachpersonal zur Unterstützung zu entsenden und Personal an ihre Lehreinrichtungen auszubilden sowie das Gefechtsschießen  mit Raketen auf Übungsplätzen zu ermöglichen. Im „Verzeichnis der speziellen Militärtechnik, die in den Jahren 1961-1965 an die Deutsche Demokratische Republik zu liefern ist“, waren als Teil des Abkommens die Lieferungen für die VM genannt worden. (Quelle: Abkommen zwischen den Regierungen der DDR und der UdSSR über die Lieferung von spezieller Ausrüstung v. 06.09-61 (weiterhin Abkommen v. 06.09.61), BA-MA, DVW 1/53111, Bl.1 ff.)

Die Information der deutschen Seite über Folgen der Raketenbewaffnung war unvollständig. So ersuchte am 24.04.1962 Neukirchen den Verteidigungsminister, für die zur Sicherstellung der RS-Boote dringend notwendige Technische Position einen Stellenplan vom Stab der VSK anzufordern. Ein weiterer Brief des Chefs der VM vom 05.07.1962 an Hoffmann verwies darauf, dass die Sowjetflotte offenbar differenziert ihre Informationen an die Verbündeten weitergab. Hinweisend auf ein Gespräch mit dem Chef der polnischen SSK, Vizeadmiral Studzinski, schrieb Neukirchen dazu: „Ich erhielt Kenntnis davon, daß eine Gruppe verantwortlicher Offiziere der polnischen Seekriegsflotte Gelegenheit hatten, sich über die Organisation der Ausbildung sowie die Einrichtung der Ausbildungsbasen bei der Baltischen Rotbannerflotte zu konsultieren.“ Da im Vorjahr nur der Einsatz, nicht aber die notwendigen Vorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen erläutert wurden, erbat er eine baldige Konsultationen der Ausbildungsbasis der BRF. (Quelle:Brief von Konteradmiral Neukirchen an Armeegeneral Hoffmann v. 05.07.62, BA-MA, AZN 32596, Bl.32)

Am 10.09.1962 erteilte Gretschko seine Genehmigung zur Konsultation in der sowjetischen Flottenbasis Baltisk (Pillau) und zur Anreise mit einem MLR-Schiff der VM. (Quelle:Brief von Marschall Gretschko an Armeegeneral Hoffmann v. 11.08.62, BA-MA, AZN 32596, Bl.28)

Ab November 1962 wurden zwölf RS-Boote übernommen und als Raketenschnellbootsbrigade zusammengefasst. (Der Begriff Raketenschnellbootsbrigade, also RS-Brigade, wurde erst 1965 eingeführt, bis dahin wurden die Begriffe SB-Brigade oder KSB-Abteilung gebraucht.) Sie verlegten im Frühjahr 1965 in den neugebauten Stützpunkt Dranske/Bug auf Rügen, wo am 24.12.1965 die letzte Indienststellung eines RS-Bootes erfolgte. Später wurden noch drei weitere RS-Boote im Herbst 1971 aus der UdSSR zugeführt. Die RS-Boote hatten im August 1965 erstmals an einer gemeinsamen Übung der verbündeten Ostseeflotten teilgenommen und entwickelten sich als die Hauptstoßkräfte der VM. Ab 1968 wurden ständig vier RS-Boote mit Gefechtsraketen ausgerüstet und zwei in das System der Bereitschaftskräfte eingegliedert, um zur Abwehr überraschender Kampfhandlungen von NATO-Schiffskräften bereit zu sein. Um den Einsatz der RS-Boote noch effektiver zu gestalten, wurden ab 1971 mit der Zuführung der neuen Torpedoschnellboote (TS-Boote) Pr.206 gemischte Raketen-und Torpedoschnellbootsbrigaden mit je vier RS- und fünf TS-Booten gebildet.

Für die Raketenkräfte war der Raketenschießabschnitt absoluter Höhepunkt ihrer Ausbildung. Ebenso wie für die Küstenraketenabteilung erfolgte auch von den zwei RS-Booten der erste Start einer scharfen Rakete P-15 am 11.05.1964 im Seegebiet von Baltisk. Die Ergebnisse des Raketenschießabschnittes wurde dem Minister für Nationale Verteidigung gemeldet. Eine Meldung vom 18.06.1969, die Ehm über das Raketenschießen am 03.06.1969 an Hoffmann erstattet hatte, beschrieb anschaulich die damaligen Probleme:„Das Schießen mußte am ersten Tag auf Grund der ungünstigen Wetterlage ausgesetzt werden. Am zweiten Tag erfolgte eine Unterbrechung von ca. drei Stunden, da der westdeutsche Aufklärer A-52 (Oste) in das Schießgebiet eingedrungen war. Erst nach energischer Aufforderung durch die sowjetische Seite entfernte sich das Schiff aus dem Gebiet. Ein Erprobungsschießen der Küstenraketenabteilung auf bewegliche Ziele war nicht möglich, da von sowjetischer Seite für den Einsatz der Rakete S-2 kein bewegliches Ziel zur Verfügung gestellt werden konnte. Die SKA-Abteilung schoß eine Raketensalve mit zwei Raketen S-2 in einem Intervall von 15 Sekunden und eine Schußentfernung von 34 km auf ein verankertes Ziel. Beide Raketen trafen den Scheibenkörper. Die Aufgabe wurde mit „ausgezeichnet“ erfüllt. Mit den Booten des KK II (Kampfkern, der Verf.) der 3.RS-Abteilung erfolgten zwei Gruppenangriffe mit je einer Rakete P-15 auf ein verankertes Ziel. Die Raketen wurden bei einer Angriffsgeschwindigkeit von 24 bzw. 21 sm/h und einer Zielentfernung von 30 sm gestartet. Die erste Rakete überflog das Ziel, faßte das entferntere, in Schußrichtung liegende größere Funkmeßziel auf (Scheibe für Rakete S-2) und traf die Aufbauten. Die zweite Rakete traf das ausgewählte Ziel unmittelbar neben dem Reflektor und zerstörte zwei Masten mit Gitternetz. (…) Durch die Boote des KK I erfolgte ein Gruppenangriff mit einer Salve aus drei Raketen auf ein ferngesteuertes, schnellaufendes kleines Ziel. Die Geschwindigkeit des Zieles betrug 24 sm/h. Der Angriff wurde mit einer Geschwindigkeit von 17 sm/h bzw. 23 sm/h bei einer Zielentfernung zwischen 24 km und 23 km durchgeführt. Alle drei Raketen lagen in der vorgeschriebenen Trefferfläche. Die Aufgabe wurde mit „ausgezeichnet“ erfüllt.“ Ein Erprobungsschießen mit instandgesetzten Raketen zeigte die Gefährlichkeit dieser Aufgabe. In der Meldung hieß es dazu:„Von Seiten der sowjetischen Genossen wurde empfohlen, von einer Instandsetzung der Rakete P-15 Abstand zu nehmen, da kaum die Gewähr mehr für einwandfreie Funktion gegeben werden kann.“ (Quelle:Meldung von Vizeadmiral Ehm an Armeegeneral Hoffmann v. 18.06.69, BA-MA, AZN 28045, Bl.154)

Es ist an dieser Stelle leider nicht weiter ausgeführt wurden, welche Gefahren in Bezug auf instandgesetzten Raketen bei diesem Raketenschießabschnitt oder überhaupt auftraten. Dem Kommentator ist als damaliger verantwortlicher Raketenspezialist bekannt, dass die Rakete des Typs P-15 in nicht geringen Losgrößen einer Instandsetzung (Nutzungsfristverlängerung) dem VEB IWP  zugeführt wurden. Einige Raketen erhielten auch eine zweite Nutzungsfristverlängerung, waren also zweimal im IWP. Raketen des Typs P-15 U und die Nachfolgetypen P-21/22 waren niemals in einer Instandsetzung, ausgenommen einer jeweiligen Muster-Nutzungsfristverlängerung.)

Die Küstenraketenkräfte der VM waren als Spezial-Küstenartillerieabteilung (Spez Kü Art Abt) am 01.12.1962 formiert wurden. Sie wurde als SKA-Abteilung bekannt, die bis zu ihrer Auflösung 30.10.1972 bestand. Der Kommandeur, Kapitänleutnant Nahlik, wurde mit 25 Offizieren im Juli 1961 nach Baku zur Ausbildung am Küstenraketenkomplex „Sopka“ abkommandiert. Anfang Januar 1963 kamen mit der Eisenbahn die Startrampen und andere Spezialfahrzeuge auf dem Bahnhof in Neubukow an. Im Frühjahr 1964 wurde die Technische Batterie in die neue Dienststelle Schwarzenpfost verlegt, und erst dann trafen die Raketen mit Zubehör direkt aus der UdSSR kommend dort ein. Danach verlegten die restlichen Kräfte der Abteilung von Kühlungsborn nach Schwarzenpfost und blieben dort bis zur Auflösung der SKA-Abteilung stationiert. Bis auf eine kurze Zugehörigkeit zur 4.Flottille waren die Küstenraketenkräfte stets dem Chef der VM direkt unterstellt. Der scharfe Start einer Rakete S-2 erfolgte am 11.05.1964 mit der eigener Technik im Schießgebiet bei Baltisk. Sie wurden im Stützpunkt Warnemünde-Hohe Dünen auf Landungsschiffe verladen und auf dem Seeweg zum Einsatzort transportiert. Der Kampfwert des Küstenraketenkomplexes „Sopka“ war für die damaligen Verhältnisse beachtlich. Jedoch war die Bereitstellung zum Gefechtseinsatz umständlich und anfällig für Störungen. Die Außerdienststellung war dann wegen des schlechten technischen Zustands und des hohen Personalaufwands für zwei Startrampen gerechtfertigt. (Quelle: Augenzeugenbericht von Fregattenkapitän Nahlik v.06.02.2003, er war der erste Kommandeur dieser Einheit vom August 1962 bis Dezember 1970)

Der letzte Start einer Rakete S-2 erfolgte im September 1970 beim Manöver „Waffenbrüderschaft 70“ im Raum Peenemünde.

Die Ablösung des Küstenraketenkomplexes „Sopka“ war bereits im August 1968 für die Jahre 1970 bis 1975 geplant worden. Es sollte  jedoch noch zehn Jahre dauern, bis die Volksmarine einen neuen Küstenraketenkomplex bekam, obwohl der Chef der VM schon im Dezember 1974 erste Auskünfte zum neuen Komplex „Rubesh“ und Mitte 1978 in Sewastopol weitere Angaben zu diesem Raketenkomplex erhalten hatte. Die Führung der VM entschied sich für seine Einführung. Wie aus einem Brief von Kulikow an Armeegeneral Hoffmann vom 08.06.1979 zu ersehen war, hatte die NVA-Führung die Empfehlung zum Erwerb des Küstenraketenkomplexes „Rubesh“ jedoch nicht sofort realisiert. Das Schreiben war mit der Bitte um Weisung am 14.06.1979 von Hoffmann an Honecker übersandt worden. (Quelle: Brief von Armeegeneral Hoffmann an Honecker v. 14.06.79, BA-MA, AZN 32638, Bl.155 ff.)

Als am 13.07.1979  Kulikow zu einem Besuch in die DDR kam, dürfte man den Kauf des Küstenraketenkomplexes „Rubesh“ beraten haben. Weitere Entscheidungen wurden im Januar 1980 von Ehm und Gorschkow beim Besuch des sowjetischen Flottenchefs in der DDR getroffen. Im Auskunftsbericht hatte Ehm die Lage und seine Absicht gemeldet, bis 1983 schrittweise ein Küstenraketenregiment aufzustellen. Beim nachfolgenden Meinungsaustausch über die Entwicklung der Flotte hatte sich Ehm den Hinweis von Gorschkow „Rubesh 8 Abschussrampen“ notiert. (Quelle: Aufzeichnungen von Admiral Ihm im Arbeitsbuch v. 16.01.80, BA-MA, DVM 10/36611, Bl.18/19)

Im Protokoll war dann die Modernisierung der RS-Boote und die Aufstellung des Küstenraketenregimentes mit acht Startrampen enthalten. (Quelle: Protokoll der Beratung zu Hauptrichtungen der Entwicklung der VM bis 1990, BA-MA, DVM 10/50210) In dem am 16.12.1980 von Honecker bestätigten Protokoll über die Bereitstellung von Truppen und Flottenkräften der NVA in den Bestand der VSK für die Jahre 1981 bis 1985 war ein Küstenraketenregiment mit acht Startrampen (zwei Abteilungen zu je zwei Batterien) aufgenommen wurden. Noch im Herbst 1980 traf die erste mobile Startrampe und einige Monate später eine zweite Rampe ein. Zwei weitere Rampen wurden 1982 geliefert und vervollständigten die Küstenraketenabteilung 18. Zum ersten scharfen Raketenschießen wurde die Abteilung, Kommandeur Fregattenkapitän Stippkugel, mit einem großen Landungsschiff der BRF vom Hafen Warnemünde nach Baltisk verlegt und startete am 30.06.1982 erfolgreich zwei Raketen P-21 im sowjetischen Übungsgebiet bei Donskoje an der Ostsee.

Zur Einsatzplanung der Küstenraketentruppen hatte sich Ehm beim Treffen mit Gorschkow am 15.07.1983 Folgendes notiert: „Im weiteren wurde vom Chef der Sowjetflotte der Einsatz der Küstenraketen aufgeworfen. Er vertrat den Standpunkt, dass aus operativer Sicht für die Volksmarine drei Abteilungen unbedingt erforderlich wären: eine Abteilung an der Westgrenze, eine Abteilung im Raum Warnemünde, eine Abteilung im Raum Rügen. In diesem Zusammenhang könnte aus dem vorgesehenen Regiment eine Brigade gebildet werden. Dabei sei zu erwägen, dass das System „Rubesh“ eine reine Waffe der Küstenverteidigung sei und eine Abteilung weiter reichender Raketen (300 km) zur Erfüllung der gestellten Aufgaben erforderlich wäre, wenn nicht bis 1990, dann in späteren Jahren. Bis zur Einführung müßte die erforderliche Anzahl, der Ort und die Zeit des Einsatzes einer solchen Abteilung der Baltischen Flotte vorgesehen werden.“ (Quelle: Aktennotiz über die Gespräche mit dem Chef der Sowjetflotte v. 15.07.83, BA-MA, DVM 10/50209, Bl.124) Die Küstenraketenabteilung 18 wurde am 01.11.1983 zum Küstenraketenregiment 18 der VM umformiert. Zum Regiment gehörten über 200 Fahrzeuge und ca. 400 Mann Personal. Die 3. Abteilung des Regiments wurde noch 1990 formiert und im Mai 1990 mit zwei mobilen Startrampen ausgerüstet. Zwei weitere für Juli 1990 geplante Startrampen wurden von der UdSSR nicht mehr geliefert. Das Küstenraketenregiment 18 wurde bei der Vereinigung Deutschlands von der Bundesmarine übernommen und anschließend von ihr aufgelöst. (Quelle: Klaus-Peter Gödde, Eine Elite-Einheit der NVA rüstet ab, Berlin 2000)