Die 5. Raketenbrigade

Erfahrungsaustausch der Führung des Küstenraketenregiments 18 mit der  5. Raketenbrigade

In der Aufbauphase des KRR-18 mussten vor allem bezüglich der Organisation der Gefechtsausbildung Erfahrungen gesammelt werden. Über eine dazu durchgeführte Maßnahme berichtet Wolfgang Schädlich:

Mit der Indienststellung  des Küstenraketenregiments 18 und der Übernahme der Startrampen vom Typ „Rubesh“ stand die Befähigung der  Führung, der Besatzungen sowie der Rückwärtigen- und Sicherstellungseinheiten  zum  effektiven Einsatz der Raketenbewaffnung im Mittelpunkt unseres Handelns. Neben dem zweifelsohne hohen Stand in der  Allgemein- militärischen Ausbildung, der Militärischen Körperertüchtigung, der Ausbildung im Schutz vor Massenvernichtungswaffen und der seemännischen sowie Spezialfachlichen Ausbildung des Großteils der Angehörigen unseres Regiments, ergaben sich immer mehr Probleme in der direkten  Ausbildung an der Gefechtstechnik und beim Einsatz unter realistischen, gefechtsnahen Feldbedingungen. Hinderlich waren dabei u.a.:

  • Das Fehlen reiner Lehrgefechtstechnik.
  • Das Fehlen eines Übungsgeländes in unmittelbarer Nähe des Objektes.
  • Das Nichtvorhandensein von Lehrkabinetten und anschaulicher Unterrichtsmittel.
  • Mangelhafte Kenntnisse über das Verhalten  im Gelände, insbesondere Möglichkeiten der Tarnung.
  • Fehlende topografische Ausbildung.
  • Mangelnde Erfahrungen bei der Organisation der Führung unter Feldbedingungen.

Diese angeführten Mängel zeigten sich bei der Durchführung von Feldlagern, Trainings von Elementen der Gefechtsbereitschaft und natürlich  Überprüfungsmaßnahmen durch das Kommando der Volksmarine nur all zu deutlich. Auf teure Lehrgefechtstechnik war derzeit  nicht zu hoffen und Betriebsstunden für die Turbinen und Aggregate sowie Dieselkraftstoff waren streng limitiert.

Die Zeit drückte, schließlich zählten wir zu den Stoßkräften der Volksmarine und die Erwartungen an uns waren immens hoch.  Mit der Zuführung der Technik und  der Montage und Übergabe durch sowjetische Spezialisten verblieb nur wenig Zeit zur Abarbeitung des Plans für die Übernahme des Gefechtsdienstes. Das bedeutete, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Nachweis für die Einsatzbereitschaft  der Küstenraketenabteilungen zum Führen von Raketenschlägen  einzeln und im Zusammenwirken unter gefechtsnahen Bedingungen erbracht  und die Gefechtsausbildung mit diesem Ziel geführt werden musste.

Als ein dem Chef der Volksmarine direkt unterstellter Truppenteil bekamen wir von Seiten unserer Vorgesetzten jede erdenkliche Unterstützung. Allerdings war der Einsatz von Küstenraketen für die Offiziere des Stabes der Volksmarine, insbesondere der Abteilung Operativ, auch Neuland, man war eher auf das Führen von Seegefechten vorbereitet. Nicht umsonst trugen wir alle eine Marineuniform. Allerdings waren wir  im Regiment in der glücklichen Verfassung, dass in unseren Reihen Offiziere und Berufsunteroffiziere bereits in Landdienststellungen ihren Dienst versehen hatten, bevor sie in das Küstenraketenregiment 18 versetzt wurden. Dazu gehörte unter anderem Korvettenkapitän Hans-Jürgen Galda, der Stellvertreter des Kommandeurs für Technik/Ausrüstung. Er war uns in Kenntnissen  des Einsatzes von Kampftechnik an Land um Längen voraus und so mussten wir oft von seinen Erfahrungen zehren. So kam es, dass Korvettenkapitän Galda  dem Kommandeur des Regiments Kapitän zur See Lothar Schmidt vorschlug,  sich ganz einfach die Organisation und Durchführung der Gefechtsausbildung  der  5. Raketenbrigade  in Demen vor Ort anzuschauen, er hatte gute Beziehungen bis hin zur Führung dieser Brigade.

Der Besuch musste natürlich durch unseren Kommandeur beim Chef der Volksmarine und beim Chef des Militärbezirks V beantragt werden, der Antrag wurde kurzfristig genehmigt.

Der Termin wurde mit dem Kommandeur der 5. Raketenbrigade abgestimmt und so begaben sich der Kommandeur des Küstenraketenregiments 18 und seine 5 Stellvertreter mit einem Kraftfahrzeug „Barkas B-1000“  nach Demen. Aus mehreren Gründen hatten wir diese Brigade für einen Erfahrungsaustausch ausgewählt:

  • Die Brigade gehörte zu den operativ-taktischen Kräften der Landstreitkräfte, also zu den Stoßkräften.
  • Bei der vorhandenen Technik gab es einen hohen Grad an Übereinstimmung, der Komplex „ELBRUS“ mit Basisfahrzeug „MAS 543“ für die Raketen, die Treibstoffkomponenten  der Rakete „SCUD B“ waren identisch  mit den Komponenten der „P-21/22“.
  • Die Nachrichtentechnik und der mobile Führungspunkt  waren nahezu  identisch.
  • Die Aufgaben der Sicherstellung und der rückwärtigen Versorgung  ähnelten sich in hohem Maße.
  • Die Geheimhaltungsbestimmungen waren genau so hoch, zum Teil sogar höher.
  • Der Einsatz der Operativ-taktischen Raketen war wie der unserer Küstenraketen an extrem  strenge Normen und exakte Abläufe gebunden.

Deshalb versprachen wir uns von einem Besuch bei dieser Brigade sehr viel. Unsere Erwartungen sollten voll erfüllt werden. Schon bei unserer Ankunft wurden wir vom Kommandeur der 5. Raketenbrigade, Oberst Schlase, empfangen.  Kapitän zur See Schmidt bedankte sich für die Einladung, erläuterte unser Anliegen und verwies auf unsere Schwierigkeiten und Probleme in der Gefechtsausbildung.

Oberst Schlase informierte uns darüber, dass der Zeitpunkt unseres Besuches ideal gewählt sei, da die Brigade gerade die Gruppengefechtsausbildung der Einheiten auf dem angrenzenden Übungsgelände absolviere und  die Abnahme zur Zulassung für den Raketeneinsatz bevorstünde. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Einsatz der Operativ-taktischen Raketen 8K14 „ SCUD B“  mit Nuklearen Gefechtsköpfen möglich war.  Diese Nuklearen  Gefechtsköpfe wurden durch eine Einheit der Gruppe der sowjetischen  Streitkräfte in Deutschland (GSSD)  in einem nahegelegenen Objekt verwaltet. Für ihren eventuellen Einsatz war ein sowjetischer Militärspezialist  in der Brigade verantwortlich, in der Zeit unseres Besuches war das Oberst Abrosimow. 

Kurz nach unserem Besuch wurde die 5. Brigade auf das wesentlich modernere Raketensystem OTR-23 “OKA“, NATO-Bezeichnung SS-23 Spider, umgerüstet. Aus verständlichen Geheimhaltungsgründen wurde mit uns damals darüber allerdings nicht gesprochen.

Als erstes wurden uns die im Objekt vorhandenen Lehreinrichtungen vorgeführt. Das waren gut ausgestattete Lehrkabinette mit anschaulichem Lehrmaterial. Nach Stationen aufgebaut, konnten hier alle Handgriffe, die für den Einsatz der Raketenbewaffnung nötig waren,  von den Soldaten trainiert werden. Da es sich ausschließlich um Lehrtechnik handelte,  war das Risiko einer möglichen Beschädigung der Gefechtstechnik, die bei uns für die Ausbildung eingesetzt werden musste, natürlich ausgeschlossen. Mich beeindruckte damals besonders die Vielzahl an vorhandenen Schnittmodellen, erstellten Anschauungstafeln und die realistische Nachgestaltung einzelner Gefechtsstationen. Uns wurde erklärt, dass die Ausstattung des Lehrgebäudes zum Teil mit der Technik geliefert, der größte Teil allerdings mit eigenen Mitteln erstellt worden war.Wir kamen nicht umhin, unsere Bewunderung darüber kund zu tun, was gleichzeitig bedeutete, dass jede Menge Arbeit auf uns zukommen würde.

Danach begaben wir uns mit unserem „B-1000“ auf das Übungsgelände der Brigade. Dazu nutzten wir einen separaten Kontrolldurchlass des Objektes, durch den aus Geheimhaltungsgründen, wie man uns erklärte, die Raketenfahrzeuge bei höheren Stufen der Gefechtsbereitschaft auf einem Waldweg das Objekt verließen, um die befohlenen Bereitstellungsräume einzunehmen. Das alles geschehe in Normzeiten, unter absoluter Tarnung und Geheimhaltung, also im Prinzip wie in unserem Regiment. Bis zum Einsatz der Raketenbewaffnung vor einem eventuellen Gegner unentdeckt zu bleiben, hatte auch für uns oberste Priorität.

Wir staunten nicht schlecht, als man uns die im Gelände getarnte Technik vorführte, sie war eigentlich ohne Hinweis optisch überhaupt nicht auszumachen. Im Detail wurden uns praktische Maßnahmen der Tarnung der Technik unter Ausnutzung natürlicher Geländebedingungen sowie Maßnahmen der optischen und Infrarot-Tarnung unter Einsatz einfacher Mittel demonstriert.

Bei einer weiteren Station wurde das Startklarmachen der Raketen trainiert, wobei wir darauf aufmerksam gemacht wurden, dass dieser Abschnitt des Gefechtseinsatzes der neuralgische Punkt sei. Für die Startrampen war es ähnlich wie bei uns, sie mussten die getarnte Wartestellung  verlassen und für den Start der Raketen einen offenen, vermessungstechnisch vorbereiteten Geländeabschnitt einnehmen. Natürlich war es erforderlich, dass der Aufenthalt in einem von Luftangriffen gefährdetem Gelände so kurz wie möglich gestaltet wurde. Für den Start einer Rakete wurden in der Startstellung 20 Minuten benötigt. Deshalb galt es an dieser Station die gelernten Handgriffe, die auf die Sekunde abgestimmt waren, in der Praxis anzuwenden. Jeder Fehler führte unweigerlich zur Überschreitung der Normzeiten und gefährdete damit die Erfüllung der Aufgabe. Eine perfekte Vorbereitung des Personals war deshalb die Grundlage. Erteilt wurde der Befehl zum Raketenstart vom Führungspunkt, durch den festgelegt wurde, ob Ziele mit bereits vordefinierten Koordinaten oder Ziele, welche durch Fern- und Spezialaufklärer  per Funk übermittelt wurden, bekämpft werden sollten. Neben der Entscheidung der Detonationshöhe mussten im Gegensatz zu unserer Technik noch Arten der Havariedetonation festgelegt werden und in das System eingespeist werden.

Neben ausgezeichnetem, militärischem Handwerk waren aus meiner Sicht ausgereifte ingenieurtechnische Kenntnisse eine Voraussetzung für die Durchführung eines erfolgreichen Raketenstarts. Nach einem imitierten Start führten die Startrampen einen Stellungswechsel durch.An einer nächsten Station, dem getarnten Beladepunkt, wurde das Nachladen der Startrampen mit Raketen demonstriert. Das geschah mit spezieller Technik ähnlich unserer. Erschwerend für die Soldaten der  Raketenbrigade   war allerdings, dass der Gefechtskopf, der bei unseren Raketen bereits installiert war, extra montiert werden musste. Man erklärte uns, dass es neben konventionellen Gefechtsköpfen mehrere Varianten von Nuklearen Gefechtsköpfen mit unterschiedlicher Sprengkraft von 20-500 KT sowie Chemische Gefechtsköpfe  gab. Der Transport der Nuklearen Gefechtsköpfe erfolgte übrigens mit Spezialtechnik, sogenannten Isothermischen Fahrzeugen. Alle Gefechtsköpfe erforderten spezielle Einstellungen, die durch den Führungspunkt befohlen  und unmittelbar vor dem Start eingegeben wurden. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden im Gegensatz zu unserer Technik, die Raketen vor dem Start vom Startfahrzeug  noch mit einer  Komponente des Raketentreibstoffs  betankt. Ich muss sicher nicht noch einmal betonen, dass auch hierbei die strikte Tarnung der Technik und des Personals im Mittelpunkt der Ausbildung standen.

Im  Weiteren zeigte man uns die Ausbildung von  Spezialtruppen unter anderem die des  Meteorologischen Zuges. Dieser ermittelte meteorologischen Daten welche zur Berechnung der Flugbahn benötigt wurden. Besonders interessant war die Ausbildung eines Stellungsbauzuges. Unsere Pioniereinheit, ausgerüstet mit einem Schiebekettenfahrzeug  BAT-M, wurde in Prora  zentral ausgebildet, da wegen Fehlens eines Übungsgeländes der Einsatz dieser Technik  mit erheblichen  Flurschäden verbunden gewesen wäre.

Die Zeit verging wie im Fluge und so waren wir recht zufrieden, als wir die Einladung zum Mittagessen erhielten. Das Essen wurde in einem Zelt serviert,  das innen überhaupt nicht an feldmäßige Bedingungen erinnerte. Mit weißen Tischdecken versehene Tische, ordentlich eingedeckt wie in einem Sterne-Restaurant, die Wände des Zeltes mit weißen Bettlaken verkleidet und natürlich  ausreichend Backschafter, die uns umgehend bedienten. Das Essen fiel gegenüber dem Ambiente nicht ab. Ich mache es kurz, so beeindruckend das für uns auch war, es hatte für uns keine Priorität und so strebten wir bei unseren Feldlagern während meiner Dienstzeit im Regiment diesen Zustand auch nicht an.

Die nachfolgende Besichtigung eines mobilen Führungspunktes und einer entfalteten Nachrichtenstation war für uns  umso interessanter. Wenn auch der entfaltete Führungspunkt auf Basis eines LKW vom Typ URAL wesentlich grösser ausfiel als unser „Schmetterling“ auf der Basis des LO 2000, gab es in Hinsicht auf die Zweckmäßigkeit der Aufgliederung in Arbeitsbereiche, der Ausstattung und der Organisation der Führung, etliches, was für uns von Interesse war. Ich glaube, dass sich die Spuren dieses Besuches im Nachhinein gerade auf unserem Führungspunkt am deutlichsten widerspiegelten.

Obwohl  in der Raketenbrigade  bei der Übermittlung von  Nachrichten zum größten Teil auf verschlüsselte Netze und Technik zurückgegriffen wurde, konnten wir uns einiges bezüglich der Organisation abschauen. Nicht zuletzt beeindruckte uns auch hier, wie mit der Tarnung der Technik, der Schaffung von Reserven und der weiträumigen Trennung von Sende- und Empfangseinrichtungen operiert wurde.

In dem abschließenden Gespräch mit dem Kommandeur der  5. Raketenbrigade bedankten wir uns für die Unterstützung und begaben uns mit einer Unmenge von Eindrücken und Ideen für die Umsetzung in unserem Regiment zurück in unser Objekt Schwarzenpfost. Dort angekommen analysierten wir in der Regimentsführung gründlich die uns vermittelten Erfahrungen und erarbeiteten  ein Dokument, in dem für das Regiment notwendige Veränderungen bezüglich der Struktur, des Personals, der Technik und Bewaffnung und der Ausbildung festgehalten waren und das unser Kommandeur dem Chef der Volksmarine vorlegte und das inhaltlich unsere weitere Arbeit beim Aufbau des Küstenraketenregiments 18 bestimmte.

Abschließend möchte ich einschätzen, dass dieser Besuch half, wesentliche Defizite in unserer Herangehensweise an die Ausbildung aufzudecken, dass er uns Anregungen gab, realistischer über das Führen von Kampfhandlungen an Land nachzudenken und letztendlich jedem Stellvertreter auf seinem Gebiet durchaus verwertbare praktische  Hinweise vermittelte. Ob bewusst oder unbewusst, flossen in der Folgezeit wesentliche Erkenntnisse in die Organisation und Durchführung des gesamten Dienstes im Küstenraketenregiment 18 ein. Insgesamt war dieser Erfahrungsaustausch eine Demonstration der engen, kameradschaftlichen Zusammenarbeit verschiedener Waffengattungen der Nationalen Volksarmee. Für die damalige Hilfe und Unterstützung durch die  Genossen der 5.Raketenbrigade gebührt ihnen auch heute noch der Dank der Angehörigen des Küstenraketenregiments 18.