Poseidon

Ein griechischer Gott in russischen Diensten
Fregattenkapitän a.D. Klaus-Peter Gödde
Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/poseidon-meer-griechische-mythologie-1621062/

Quellenangaben

Einleitung

Unbemannte Unterwassersysteme zu bewerten ist nichts außergewöhnliches und so informierte der Experte im Deutschen Maritimen Kompetenznetz DMKN Sidney E. Dean bis ins kleinste Detail im gleichnamigen Artikel auf vier Seiten des Marineforums 10/2017 alles, was unter Wasser sich unbemannt so fortbewegt. Dort erwähnte er „unter ferner liefen“ u.a. auch den heutigen Betrachtungsgegenstand. In seinem abschließenden Satz schloss er auch die von US-Geheimdiensten bezeichnete Drohne Kanyon mit folgendem Satz ein: „Allerdings trägt die Meldung Züge einer russischen Desinformationskampagne“. Wie voll dieser durchaus renommierte Militärspezialist mit seiner Einschätzung daneben lag, ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass man einfach den Russen nicht zuhört, wenn sie etwas sagen oder machen.

Poseidon ist eine von sechs neuartigen strategischen Waffensystemen der Russischen Föderation, die am 1.März 2018 in der Rede zur Lage der Nation vor der Föderalen Versammlung durch Wladimir Putin der Weltöffentlichkeit offiziell vorgestellt wurden. Genau hier gebrauchte Putin seine einprägsamen zwei Sätze:„Sie (der Westen) haben nicht zugehört. Hören Sie jetzt zu!“ Diese Mitteilung kam aber nicht unerwartet, denn schon 2008 wurde festgestellt, dass das Spezial-U-Boot Sarow durch einen besonders langen Bugteil auffiel, 2010 auf Satellitenfotos in Severodvinsk Zusatzkomponenten wie Hubgerüste und Tragkräne registriert wurden und 2012 Admiral Vladimir Vysotsky erwähnte, dass K-139 Belgorod als U-Boot für Spezialeinsätze fertiggestellt werden würde. Und am 18.November 2015 erfasste der 1.Kanal des Russischen Fernsehens – einer von zwei anwesenden russischen Fernsehteams, die von der Beratung der russischen Regierung mit der Rüstungsindustrie aus Sotschi berichteten, „ganz zufällig“ – über die Schulter eines Generals hinweg – den auf einer Zeichnung eingeblendeten Poseidon und deren Träger.

Schematische Darstellung von Poseidon
Quelle: H.I. Sutton Verwendung mit freundlicher Genehmigung

Neben diesen beiden nun schon erwähnten Typenbezeichnungen Kanyon und Poseidon trägt das Autonomous Underwater Vehicles AUV” in unterschiedlichen Gremien auch die Kurzbezeichnung 2M39, SKIF  oder Staus-6. Der Übersichtlichkeit halber bleiben wir im Weiteren bei Poseidon. Es ist ein Interkontinental Nuclear-Power Nuclear-Armed Autonomous Torpedo. Die Washington Post hatte wieder einmal diese Information aus Sotschi für sich „entdeckt“ und nun ging das große Rätselraten besonders in den zuständigen Stellen los. Putin hatte also nicht in absoluter Geheimhaltung die Welt überrascht. Im Gegenteil er hat eher versucht zu unterschiedlichen Zeitpunkten dosiert zu vermitteln, dass er das aus seiner Sicht sich abzeichnende ungleiche strategische Kräfteverhältnis, insbesondere durch die eingetretene Bedrohungslage um Rußland herum, gedenkt aktiv auszugleichen und in der Gesamtheit aller erwähnten neuen Waffensysteme vermutlich für die nächsten 10 Jahre zu seinen Gunsten drehen wird. Das ist die neue geopolitische Weltlage, die sämtliche Arten der Dämonisierung der Person Putin und Russlands insgesamt hinreichend erklären dürften.

Was es aber die praktische Umsetzung und die Ergebnisse betrifft, da herrscht eisige Grabesstille und bei einigen taktisch-technischen Daten (TTD) Verwirrspiel. Ich werde mich auch weitestgehend um Poseidon bemühen, denn das jetzige und die zukünftigen Träger-U-Boot werden nur soweit in Betracht gezogen, wenn es um den verbundenen Einsatz der Torpedos geht.

Informationen zu Poseidon
Entwickelt und hergestellt wurde die Unterwasserdrohne in gemeinsamer Produktion des Sankt Petersburger Büro für Maschinenbau MALACHIT AG (Малахит – морское бюро машиностроения), benannt nach dem Wissenschaftler N.N. Isanin und dem Zentralbüro für Meerestechnik RUBIN AG (ЦКБ МТ Рубин), welches sich ebenfalls in Sankt Petersburg befindet. Das sind die beiden führendsten Einrichtungen des gesamten postsowjetischen und russischen U-Bootbaus und alles was damit im Zusammenhang steht. Nun wäre es das einfachste die TTD von Poseidon aus diesem Büro „abzuschöpfen“ und das Rätselraten hätte ein Ende. Selbst dieser Erkenntnisgewinn würde auf absehbare Zeit am Zustand der gegenwärtigen militärischen Überlegenheit Russlands auf diesem Gebiet nichts ändern, weil weder ein Gegenmittel noch eine gleichwertige Vergeltungswaffe vorhanden sind. So bleibt dem Autor dieses Beitrags nichts anderes übrig aus der Vielzahl der unterschiedlichsten Literaturangaben der öffentlichen Quellen die wichtigsten TTD aufzunehmen, um die Gefährlichkeit dieses Waffensystems auch nur annähernd wiederzugeben.

Das „Zufallsfoto von Sotschi“
Quelle: Первый канал (Russland)

Poseidon hat drei Hauptaufgaben zu erfüllen:

1. Erzeugung nuklearer Tsunami mit einhergehendem radioaktiven Befall gegnerischer Küstenstriche mit dem Ziel Marinebasen/ große Hafenanlagen und die drei US-Mega-Wirtschaftszentren BOSWASH, CHIPITS und SANSAN weitestgehend zu vernichten, in denen 50% des US-Amerikanischen BIP erzeugt werden und die alle an und in der Nähe ozeanischer Küsten liegen.
2. Zerstörung US-amerikanischer Angriffs-Flugzeugträger-Gruppierungen sowie der SSBN-Flotte und im Weiteren
3. Erfüllung von Zusatzaufgaben. Zum Beispiel hat Poseidon auch die Funktion eines Aufklärungsgerätes, wenn es zum U-Boot-Träger zurückbeordert und alle gesammelten Daten zur Auswertung übermittelt werden.

Illustration einer Tsunamiwelle. Nur ein Mittel zur psychologischen Kriegsführung? 

Quelle: Военное Обозрение (Wojennoe Obosrenie) Heft 7/2018

Die Größenverhältnisse lassen erahnen, dass es sich hier nicht um ein etwas größeres Torpedo handelt. Die wichtigste Eigenschaft mit einem nuklearen Sprengkopf einen Tsunami zu erzeugen ist keine neue Erfindung. Sie geht bis auf den Vater der ersten sowjetischen Wasserstoffbombe Andreij D. Sacharow in die 50-iger Jahre zurück. Seltsam ist nur, dass es über die Tsunami erzeugende Waffe keine Dokumente von Sacharow gibt. Es existieren nur Gesprächserinnerungen und fixierte Zeitzeugenaussagen. Es wurde der Torpedo T-15 mit einem Kaliber von 1.550 mm und einer Länge von 24 m sowie mit einem Gewicht von 40 t entwickelt, für welches ein drei Tonnen schweres „Spezial-Gefechtsteil“ vorgesehen war. Das erste sowjetische Atom-U-Boot Leninskij Komsomol Projekt 627 sollte auch der erste Träger für T-15 werden, welches sich aber bis auf 30 km der amerikanischen Küste hätte nähern müssen. Das alles machte keinen Sinn und die Arbeiten wurden 1954 eingestellt. Die ballistischen Rakete R-7 und die Überschall-Flügelrakete X-20 übernahmen in der Folgezeit den Einsatz der Atomwaffen ins gegnerische Ziel.

In der Mehrzahl der Literatur wird eine Sprengkraft von Poseidon mit 100 MT angeführt. Das ist eine unvorstellbare Größenordnung. Selbst die Sprengkraft der sogenannte Zarenbombe hatte man 1961 noch von 100 MT sicherheitshalber auf 58 MT heruntergesetzt und bestätigten die Richtigkeit des Konzepts der Erzeugung von Tsunamiwellen. Einige andere Quellen sprechen von 3 MT, andere liegen irgendwo dazwischen. Wenn man heute seriöse Fachliteratur, die den Nachweis von nuklear erzeugten Riesenwellen anführen will, wie z.B. im Lehrbuch Water Waves Generated by Underwater Explosions, so kann man dort folgendes über deren Wellenhöhen entnehmen:

9,25 km vom Epizentrum – h = 202 – 457 m
18,5 km vom Epizentrum – h = 101 – 228 m
d = 92,5 km – 20 – 46 m
d = 185 km – 10,1 – 22 m

Unmittelbar an der Küste werden nicht zwangsweise Riesenwellen entstehen, weil für die Bildung von Tsunamiwellen es erforderlich ist, die Zündung der Kernladung in der Tiefe von mehreren Kilometern vor der Küste durchzuführen, was nicht immer so gegeben ist. Bei idealen Bedingungen in 100 km Entfernung vom Epizentrum werden Tsunami nicht zu beobachten sein, vielleicht Wellen mit einer Höhe von 20 – 46 m. Selbst diese sind auch nicht unbedeutend, aber stellen kein „Wegspülen“ der USA dar, wie es in den Sensationsberichten der einschlägigen Tageszeitungen abgebildet wird (siehe Foto). Die Entstehung von natürlichen Riesenwellen mit einer Höhe bis zu 30 m konnte ich sehr anschaulich im portugiesischen Nazaré studieren. Dort spielen sage und schreibe gleich vier verschiedene Faktoren im gleichzeitigen Zusammenwirken eine entscheidende Rolle. Künstliche Tsunami entstehen auch nicht nur durch das Wirken oder Vorhandensein von einem einzigen Faktor – der Detonation einer Mega-Kernladung. Das hat beim Einsatz von Poseidon an den Küstenabschnitten eine große Bedeutung. Das hat beim Einsatz von Poseidon an den Küstenabschnitten auch eine große Bedeutung. Obwohl ich sehr viele Quellen in Bearbeitung dieses Beitrages studiert hatte, wurde ich daraufhin von einem russischen Spezialisten aufmerksam gemacht, dass es auch Literatur und Berechnungen gibt, die das Zusammenwirken der MEGA-Tonnen-Explosion mit der Tektonik des Mittelatlantischen Rückens entlang des Meridians beschreiben. Wir erinnern uns an das natürliche, aber verheerende Seebeben Weihnachten 2004 vor der Küste des Sumatras.

Eine 100 MT Überwasser-Explosion besitzt ähnliche Wirkfaktoren, wobei die des radioaktiven Befalls und die anderen Vernichtungsfaktoren wesentlich schlimmere Folgen hinterlassen werden. Keiner kann diese hypothetischen Aussagen bestätigen, aber egal wie, es wird katastrophale Auswirkungen haben. Nicht ausgeschlossen sind auch sogenannte „salted“ Cobalt-Bomben. Eine Atomwaffe, die entwickelt wurde um erhöhte Menge radioaktiven Niederschlags zu erzeugen und große Landstriche zu kontaminieren. Co-59 wandelt sich in das Isotop Co-60 um, welche höhere radioaktive Partikel mit einer Halbwertszeit von mehr als 5 Jahren besitzen.

Schematische Darstellung des Durchmessers der Zonen der Zerstörung bei Detonation einer 100 MT-Kernladung
Quelle: Karl Schmeink nach Angaben Военное Обозрение Heft 07/2018
Illustration des Ausmaßes der radioaktiven Spur bei einer 100MT-Detonation vor New York
Quelle: Karl Schmeink nach Angaben Военное Обозрение Heft 07/2018

Aus persönlicher Erfahrung bei der Berechnung der Folgen des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen kann ich die o.a. NUKEMAP  in ihrer Symbolik bestätigen. Denn ich habe an der Militärakademie sehr detailliert und über einen langen Zeitraum viele Berechnungen einschließlich Übungen und Abschlussprüfungen absolvieren müssen, die mir ein hohes Verständnis der Wirkfaktoren, besonders von Kernwaffen, sehr nahgebracht hat. Ziel dieser Berechnungen war immer den Entschluss des Kommandeurs (i.d. Regel der des Befehlshaber der Flotte) zur Erfüllung der gestellten Gefechtsaufgaben zu fassen, also festzustellen, ob die eigenen Verluste auf der Zeitachse unter der Berücksichtigung der eingetretenen Zerstörungen erfüllt oder nicht erfüllt werden konnten. Und wir berechneten diese Aufgaben ausschließlich im unteren Vernichtungsbereich von 20-100 kt und verstanden schon vor 40 Jahren, dass diese Aufgaben mehr als nur Respekt abverlangten. In diesem Zusammenhang war es sehr angebracht das Lehrfach Psychologie beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Lehrprogramm zu haben.

Auch eine Angabe wurde angeführt, dass ein amerikanisches strategisches Atom-UBoot bei einer Detonation von 100 MT in einer Entfernung von 100 km als vernichtet angesehen wird. In der Literatur wird auch über den Einsatz konventioneller und hochexplosiver Gefechtsköpfe großer Leistung mit der Masse von mehreren Tonnen gegenüber Flugzeugträgern berichtet. Also das Spektrum ist sehr breit gefächert.

Kommen wir zum nächsten Parameter – der Geschwindigkeit von Poseidon. Sie wird von russischer Seite, aber auch in den amerikanischen Ausführungen mit 100 – 110 Knoten (kn), also sage und schreibe runde 160 – 180 km/h, angegeben und auch nicht in Frage gestellt. Um die Situation um die Geschwindigkeit zu beschreiben, möchte ich dennoch ein Zitat aus einer russischen Fachzeitschrift im Wortlaut anführen: „100 Knoten – ist eine sehr hohe Geschwindigkeit, die einen außerordentlichen energetischen Verbrauch erfordert. Wahrscheinlich, ist jenen, die diese schöne Zahl „100 kn“ aufgemalt haben, nicht ganz bis zum Ende die Paradoxität der gegebenen Situation bewusst.“ Hiermit wird der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Maschinenleistung erbracht. Es gilt der folgende Grundsatz: Die Leistung der Antriebsmaschine wächst in der 3.Potenz zur Geschwindigkeit. Mit anderen Worten, um auf 100 kn zu gehen, also die Verdopplung der Geschwindigkeit des zurzeit schnellsten leichten U-Jagd-Torpedos MU90 IMPACT, muss die Leistung der Maschine, unabhängig von der Größe und Masse des Torpedos auf 2 hoch 3, also achtmal, erhöht werden. Das sind 11.600 PS bzw. 8,5 Megawatt. Das wäre auch die Leistung der Antriebsmaschine von Poseidon. Und genau darin liegt ein generelles Wesensmerkmal des gegenwärtigen technischen Entwicklungsstandes. In der russischen Wissenschaft und Technik hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine Revolution bei der Entwicklung neuartiger Werkstoffe wie z.B. Podost, Elektrostahl stattgefunden, die nun auch in Atomreaktoren eingesetzt werden können. Denken Sie nur an das Hyperschall-reaktive Luftstrahltriebwerk, welches durch einen thermonuklearen Reaktor so ganz ohne Treibstoff „perpetuum-mobile-artig“ (siehe dazu meine Ausführungen auf https://www.kuestenraketen.de/die-zukunft/putins-neue-fluegelrakete/) betrieben wird, sich sogar seit vorigem Jahr im Gefechtsdienst der russischen Streitkräfte befindet und Schlagsystem 15P771 oder Avantgarde heißt. Poseidon hat dagegen einen flüssigmetallgekühlten Kernreaktor. Die dort eingesetzten hochfesten und hitzebeständigen Materialien hat es früher nicht gegeben. Nun gewährleisten diese Werkstoffe in der Poseidon-Antriebsmaschine sogar Änderungen des Fahrtregime von Schleichfahrt bis auf „Volle Kraft Voraus, also auf 180 km/h, in weniger als einer Minute. Hiermit muss klargestellt werden, dass die maximale Geschwindigkeit von größer als 100 kn eher zum Angriff oder zum Lösen vom Gegner bzw. zum Ablaufen von Anti-Torpedos genutzt werden. Problemlos kann sich Poseidon auch zwei Wochen und mehr auf Grund legen und an dieser Stelle verharren bis er neue Befehle erhält. Die Marine-Hydroakustiker-Spezialisten Gebrüder Lexinij sind der Meinung, dass Poseidon unhörbar durch die Tiefen nicht schneller als jedes herkömmliche Torpedo „schleicht“. Bei der Deutung der maximalen Geschwindigkeit schlagen auch hier die hypothetischen Annahme zur Kavitation – JA oder NEIN – nicht geringere erkenntnistheoretische „Tsunamiwellen“. Spezielle Vorrichtungen wie zum Beispiel beim Raketentorpedo „Schkwal“, der mit 350 km/h durch das Wasser schießt, wurden am Äußeren von Poseidon nicht entdeckt. Aber dennoch kann er auf 180 km/h, bei der die Kavitation, also der Ausbildung einer Luftbläschenhülle um die gesamte Außenhaut einsetzt, beschleunigen. Seit den 70-iger Jahren hat man in West und Ost immer mehr den Versuch unternommen den Bläscheneffekt zur Superkavitation weiterzuentwickeln und spätestens mit dem Prototyp Barrakuda wurde auch die Steuerbarkeit bei 400 km/h nachgewiesen. Somit wird die hohe Eigengeschwindigkeit von Poseidon genauso wie die angegebene Tauchtiefe von 1.000 m nicht in Zweifel gezogen. In diesen Tiefen verschwindet Poseidon für jedes bisher existierende Gegenmittel und ist in den verschiedenen Wasserschichten unauffassbar.

Die maximale Reichweite der Unterwasserdrohne Poseidon wird mit 10.000 km angegeben, wobei sich dieser letzten Parameter am besten im Zusammenhang mit seinem Einsatz erklärt werden kann (siehe unten).

Navigation, Kommunikation und Angaben zum aktuellen Einsatz
Bei der Bewertung gerade dieser sensiblen Themen herrscht weniger Widersprüchlichkeit wie zum Beispiel bei den o.a. einzelnen TTD, sondern hier dominiert absolutes Stillschweigen und strengste Geheimhaltung. Die folgenden Aussagen beziehen sich ausschließlich auf spärliche Andeutungen in der offenen Fachliteratur.

Als Navigator dient ein Trägheitsnavigationssystem in Kombination mit der Bewegungsverfolgung nach Karten des Meeresboden, dessen Relief durch ein 3D-Sonar im Kopfteil der Drohne fixiert ist (ähnlich dem System TERCOM). Die Überschrift der Wojennoje Obosrenie (Militärrundschau) vom 11.Oktober 2019 betitelt sogar den Artikel von Oleg Kapzow mit den Worten „Poseidon geht in den Kampf, orientiert sich dabei am Meeresgrund“. Wenn in diesem Zusammenhang auf den im Jahr 2018 in Russland begangenen 60.Jahrestag der sogenannten reliefmetrischen Navigation verwiesen wird, so dürften wohl nur noch geringe Zweifel aufkommen, dass diese Navigationsart  die sicherste und realistische  Methode der Steuerung von Poseidon in den Weltmeeren ist. Die Masse der Experten geht davon aus, dass die hydroakustische Station der Drohne die Fähigkeit des Rundum-Abhörens, sowohl im passiven als auch im aktiven Regime gewährleistet.

Ohne sichere Nachrichtenverbindungen kann die gegebene Aufgabe nicht erfüllt werden. Dazu gibt es Methoden der Informationsübertragung:
hydroakustische mittels Kommandoschiffe in neutralen Gewässern,
mittels superlangen Radiowellen, die in eine Wassertiefe von ungefähr 150 m eindringen (zum Beispiel von der Sende- und Empfangsstation in Wilejka in Weißussland) und
theoretisch bestände auch eine Verbindung mittels ein- und ausfahrbarer Sonde zur verschlüsselter Datenübermittlung. Das ist aber zurzeit unbekannt.

Schematische Darstellung des nuklearen Träger-U-Bootes Belgorod
Quelle: H.I. Sutton Verwendung mit freundlicher Genehmigung

Der erste Träger für die Poseidon-Drohnen wurde das Atom-U-Boot Belgorod, welches doch eine recht abwechslungsreiche Historie aufweisen kann. Auf Kiel wurde es am 24.06.1992 ! als Projekt 942 Antey-Klasse gelegt und sollte eigentlich mit 24 Granit-Raketen ausgerüstet werden. Unplanmäßigkeit (Zerfall der Sowjetunion) und laufende Veränderungen führten dazu, dass die militärische Führung Russlands erst 2012 entschied das U-Boot als Projekt 09852 für spezielle Aufgaben fertigzustellen, welches dann am 23.04.2019 vom Stapel lief und somit der erste Träger von sechs Poseidon wurde. Die Seeüberprüfungen und die Ausbildung der Besatzung begannen ab Sommer 2021 und am 8.Juli 2022 wurde es der russischen Marine feierlich übergeben. Das Schwestern-U-Schiff, die Charbarowsk wurde im Juli 2014 als Projekt 09851 auf Kiel gelegt und wird später unter Pr. 09853 laufen. Es enthält ebenfalls sechs Startanlagen 2P39 für die Drohne 2M39, also für Poseidon. Die russische Nachrichtenagentur TASS berichtete das weitere Träger-U-Boote spezieller Zweckbestimmung den Namen Podmoskowije (BS-64) und Orenburg (BS-136) tragen werden. Im Unterschied zu den U-Booten mit ballistischen Raketen, die überall, ob unter oder über Wasser, selbst vom Schiffsanleger heraus ihre Raketen starten können, werden Belgorod, Charbarowsk und alle nachfolgenden Träger nur da starten, von wo aus sie optimalen Zugang zu den Weltozeanen haben. Ich möchte jetzt auf eine Analyse der amerikanischen UAW-Barrieren insbesondere im Atlantik verzichten. Darüber kann ein umfangreiches Buch geschrieben werden, denn dort existieren sehr ausgefeilte Überwachungssysteme, die unter, auf dem Wasser und in der Luft nahtlos U-Boot-Bewegungen jeglicher Art registrieren und entsprechende Gegenreaktionen starten (für Poseidon & Co. liegen noch keine einschlägigen Beobachtungsergebnisse vor). Ich möchte anstelle dessen den Fokus auf das Ochotskische Meer diesbezüglich richten. Basieren doch Belgorod und später voraussichtlich auch Charborowsk in der 25.U-Boot-Division der Pazifikflotte in Wiljutschinsk (Kamtschatka). Einer inoffiziellen TASS-Meldung vom 3.April 2023 zur Folge wird dort die voraussichtliche Aufstellung der Division Spezial-U-Boote mit Poseidon Anfang 2025 mit Belgorod, Charbarowsk und anderen U-Booten erfolgen. Beim Auslaufen aus diesem Basierungspunkt warten schon die amerikanischen U-Boot-Killer und UAW-Flugzeuge. Neben den Luftwaffenstützpunkten in Alaska, den Alëuten und in Japan baut das Pentagon mit einer auffälligen hohen Geschwindigkeit eine ultramoderne Air Base für UAW-Schlag-Flugzeuge auf der kleinen Insel Schemja, 1049 km entfernt von Wiljutschinsk. Trotzdem können die U-Boote 500 km entlang im Schatten von Kamtschatka ins relativ sichere Ochotskische Meer gelangen. Dieses Meer ist Wirtschaftszone Russlands, welche 2013 durch die Internationale Kommission zu Grenzen des Kontinentalschelfs anerkannt wurde. Es sind also innerrussische Gewässer außer einige zig Kilometer am nördlichen Hokkaido-Küstenstreifen. Das heißt aber nicht, dass sich die amerikanischen Kräfte daran halten. Über die Handlungen der US-Navy und spezieller Kräfte im Ochotskische Meer können sehr umfangreiche Memoiren verfasst werden.

Im Ochotskische Meer können eine oder mehrere Poseidon entfalten, sich für ein paar Wochen auf Grund legen, unter dem Eis des nördlichen Teils verschwinden oder sie gehen gleich durch die 26 Fahrwasser und die zig Nichtfahrwasser der Kurilen in den Pazifik. Dieser Entschluss wird auf höchster militärischer Ebene gefasst in Abhängigkeit der jeweiligen militärstrategischen Lage auf dem Seekriegsschauplatz. Denn die Poseidon-Drohnen beginnen sich nicht erst mit der Zuspitzung der Lage in ihre Einsatzgebiete zu begeben, sondern sind schon vor Ort, um ihre zerstörerischen Handlungen sofort zu vollziehen. Das ist das „Markenzeichen“ dieser Waffe.

Die hydrographischen Vermessungen dieses konkreten Seegebietes sind in der Vergangenheit erfolgt. Jetzt gilt es für die sicherstellenden Kräfte der russischen Pazifikflotte „sichere Schlösser“ für einen stabilen Gefechtseinsatz der russischen Träger-U-Boote und für Poseidon selbst im Ochotskische Meer und dessen Ausgänge durch die Kurilischen Inseln gegenüber ungesetzliches Eindringen der USA und anderer gegnerischer Kräfte sicherzustellen. Soweit wie es noch nicht geschehen ist, so oder ähnlich wird man in naher Zukunft alle Seengebiete unserer Erde bewerten und benutzen, um Poseidon als Waffe zur Zügelung im strategischen Gleichgewicht einzusetzen. Im Maximalprogramm sieht Russland bis sechs Träger-U-Boote vor, jeweils drei in der Nordmeer- und drei in der Pazifikflotte. Die Anzahl von Poseidon-Drohnen wird aber nur mit 32, also 16 für jede Flotte angegeben. Warum vier weniger als die maximale Trägerkapazität hergibt, darüber habe ich keine erklärenden Aussagen gefunden. Die Kosten für eine Drohne in der offenen Literatur wird mit den Herstellungskosten eines mittleren atomar-angetriebenen U-Bootes gleichgesetzt. Sicherlich werden auch dazu in der Zukunft nähere Angaben durchsickern.

Weitere AUV
Nicht-nukleare AUV´s werden in vielen Ländern entwickelt. Sieben verschiedene Drohnen sind in der Abbildung dargestellt.


Weitere große Unterwasserdrohnen

Quelle: H.I. Sutton Verwendung mit freundlicher Genehmigung

Als systembezogener Gegenspieler wäre der von Boeing entwickelte Orca zu nennen. Nach Angaben der amerikanischen Presse können diese Geräte in Zukunft den Verlauf militärischer Operationen auf See auf jeden Fall verändern und dem Militär kostengünstige, teilweise Einweg-Waffensysteme zur Verfügung stellen. Darin besteht kein Zweifel.

An dieser Stelle möchte ich auf einen Vergleich zwischen Poseidon und Orca bewusst verzichten. Denn jeder der die u.a. Abbildung auch nur oberflächlich betrachtet, wird feststellen, dass zwischen beiden nicht nur gravierende Differenzen bei den TTD vorherrschen, sondern dass es um maritime Waffensysteme mit grundlegend anders definierten Zweckbestimmungen und technischen Entwicklungsstand geht.

Quelle: H.I. Sutton Verwendung mit freundlicher Genehmigung

Auch die Royal Navy hatte ihren ersten bewaffneten XL-UUV (Extra Large Unmanned Undersea Vehicle) für März dieses Jahres angekündigt. Weitere Informationen sind aber nicht bekanntgeworden. Es ist zu erwarten, dass mit den zukünftigen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz auf diesem Sektor schnell der Vorsprung, den Poseidon gegenwärtig erzielt hat, im kommenden Jahrzehnt aufgeholt werden wird. Der erste Anwärter dürfte wohl eher China werden, so berichtet The Drive am 23.07.2022. Die Volksrepublik hat ein Analog-Programm zum atomangetriebenen Torpedo Poseidon mit der Bezeichnung Torpedo des Jüngsten Gerichts aufgelegt. Diese nuklear-angetriebene Drohne kann sowohl eine Kernladung als auch ein herkömmliches Gefechtsteil aufnehmen. Und wenn im letzten Satz in dieser Kurzmeldung schon die Entfernung von Shanghai nach San Francisco mit 9873 km ausgewiesen ist, dann wird sich für die USA ein zusätzliches Problem auch von chinesischer Seite her auftun.

Ist Poseidon legal oder nicht?
Mit dem Erscheinen der „Kategorie“ Poseidon wird das vorhandene internationale Regelwerk überfordert. Am 26. Februar 2019 fand eine Anhörung im Komitee des US-Kongresses für die Streitkräfte statt, in der der damalige Oberbefehlshaber des US-Strategischen Kommandos, General John E. Heyten, erklärte, dass die neuen russischen Waffen nicht unter das Abkommen zur Begrenzungen der strategischer Waffen-III fallen. Auch wenn die Russen somit eine Lücke in der internationalen Gesetzgebung gefunden haben, fordern nun die USA neue Vereinbarungen auch über unbemannte Unterwasserapparate mit Kernsprengköpfen. Das ist die typisch amerikanische Politik. Einerseits kündigen sie gemeinsame Abkommen gemäß ihrer Interessenlage auf, in diesem Fall rufen sie nach neuen internationalen Vereinbarungen. Sie sind beunruhigt, da sie keine vergleichbaren Technologien besitzen. Das Pentagon präferierte zu seiner Zeit ausschließlich auf die Modernisierung vorhandener strategischer Kernwaffenkräfte, neue kleinkalibrige Gefechtsköpfe für U-Bootgestützte  ballistische und Flügelraketen.

Wie sieht es mit dem Haager Abkommen von 1907 Teil VIII (betreffend der Legung von unterseeischen selbständigen Kontaktminen) aus? Ich kann über die Rechtmäßigkeit der Stationierung von Poseidon auf dem Meeresboden keine ergiebigen Antworten geben.

Der Einsatz verstößt gegen den Vertrag über die Kontrolle von Waffen auf dem Meeresboden von 1972, außerhalb der jeweiligen 12-Seemeilen-Zonen. Wird man auch darüber in diesen Zeiten noch ein internationales Regelwerk gemeinsam aushandeln können? Die Zeichen sehen eher düster aus. Das sind Themen, die durch ein grundlegendes Verbot entschärft werden könnten, aber dazu müssen zweifellos die von Putin im Dezember 2021 an die USA und NATO jeweils überreichten Entwürfe für ein gemeinsames Abkommen noch einmal auf den Tisch gelegt werden, um sie in diesen Abrüstungsprozess einzubeziehen. Anders wird daraus kein Schuh. Ist der Westen dazu bereit. Eher wohl nicht. Und das spricht genau für die Gefahr, worüber ich in diesem Artikel versucht habe etwas ausführlicher zu berichten. Das in Bezug auf Poseidon die Amerikaner die Abrüstung voll begrüßen, dürfte außer jedem Zweifel stehen. Aber für ein Abkommen müssen die Interessen von mindestens zwei Seiten auf einen Nenner gebracht werden. Und, es gibt noch andere Nationen, die in diesen Sektor nun voll eingestiegen sind und um das internationale Recht vorerst einen großen Bogen machen.

Anstelle eines Fazits:
Wir können davon ausgehen, dass der Einsatz von Poseidon mit einem Schlag einer Gruppierung von mobilen ballistischen Raketen vom Typ Samrat, ausgerüstet mit Hyperschall- und atomaren Gefechtsköpfen Avantgarde synchronisiert wird. D.h. ein gleichzeitiger Angriff von See mit Poseidon auf die Infrastruktur an den Küsten und aus dem Kosmos auf die Stellungen der ballistischen Interkontinentalraketen und der militärischen Infrastruktur. Kommen wir zur gegenwärtigen Situation.
Am Vormittag des 14.Juli.2022 wurde eine russische Nachricht von der NATO abgefangen, in der es hieß, dass das Atom-U-Boot Belgorod die Gefechtsaufgabe erfüllt und eine oder mehrere Poseidon-Drohnen ausgestoßen hat. Operationsgebiet unbekannt. Am 3.April 2023 wurde diese Meldung inoffiziell durch TASS präzisiert: Aktuell führt Belgorod die Seeerpobung, vermutlich mit dem Einsatz von Poseidon, in der Nordmeerflotte durch. Charbarowsk wird bei SevMasch planmäßig zu Ende gebaut.
Diese befinden sich nun im sogenannten Gefechtsdienst und sind ab jetzt in der Lage zu jedem Moment die gestellte Gefechtsaufgaben zu erfüllen.
Der russische Kommentator teilte anschließend mit, dass es von russischer Seite darüber keine offizielle Nachricht geben wird.
Ich persönlich, habe in allen Medien, die ich täglich verfolge, keine diesbezüglichen Hinweise über dieses doch einschneidende Ereignis entnehmen können.
Wie und ob das in den zuständigen Stellen der westlichen Welt und in der NATO aufgenommen wurde, konnte ich aus der gleichen russischen Quelle nur durch eine Bemerkung vernehmen: Schockzustand.
Ob das so ist, kann ich nicht bestätigen. Bewusste Desinformation oder ernst zu nehmende Meldung?
Somit schließt sich wieder der Kreis. Ich habe versucht dem interessierten Leser einige Gedanken aus teils widersprüchlichen, teils bestätigten Quellen zu einem apokalyptischen Waffensystem näher zu bringen und werde entgegen so manchem hochdotierten Militärexperten den Worten Putins doch eher Gehör schenken.


Der Artikel erschien, in lektorierter Form in der Zeitschrift Auftauchen! des Verbandes Deutscher Ubootfahrer e.V., auf Seite 30 – 35
Ausgabe: 294, AugustOktober 2022