Letztes Kampfschiff der DDR-Volksmarine
Geplünderte Raketenkorvette wurde Museumsschiff
Leinen los! 12/2015, Seite 42-43, Geschichte, Ralph Sommer
Vor 25 Jahren wurde die Flotte der DDR-Volksmarine abgerüstet, verkauft und verschrottet. Lediglich eine Raketenkorvette blieb als schwimmendes Museumsschiff in Peenemünde erhalten.
Es ist lange her, seit Holger Neidel hier saß. In der Kapitänskajüte erinnert noch vieles an jene Tage, als er Kommandant einer Raketenkorvette war. Auf dem Schreibtisch steht der alte Telefonapparat, über den er seine Weisungen an die Brücke gab. Hinter ihm, über der ausgebreiteten Flagge der Volksmarine, tickt noch immer die alte Kajüt-Uhr. „Alles irgendwie ziemlich vertraut”, sinniert der heute 58-jährige ehemalige Korvettenkapitän. Auch wenn das nicht wirklich sein Schiff war.
…Denn zu DDR-Zeiten war Neidel Kommandant der ALBIN KÖBIS, der Schwester-Korvette jenes Kampfschiffes, auf dem er jetzt sitzt. Zur Flotte der Volksmarine gehörten einst fünf sogenannte Kleine Raketenschiffe, die von der NATO als Flugkörperkorvetten der TARANTUL-Klasse geführt wurden. Die Wende hatte Neidel aus der Ferne erlebt, an der Seekriegsakademie in Leningrad. „So blieb mir das Abwracken meines Schiffes erspart”, sagt er. Nur das Schwesterschiff, die HANS BEIMLER, blieb als Museumsschiff in Peenemünde erhalten.
…Die 56 m lange, einst mehr als 44 kn schnelle Einheit ist das letzte hierzulande noch schwimmende Kampfschiff der abgemusterten Volksmarine. Als es zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 außer Dienst gestellt wurde, war das 77,1 Mio. Mark teure Schiff gerade mal vier Jahre alt. „Es waren gute und recht sozial eingerichtete Schiffe”, sagt Neidel, der mit seinen Männern viele Ausbildungswochen auf der Ostsee geleistet hatte. Den 39 Mann an Bord hätten die Raketenkorvetten vergleichsweise viel Platz geboten. Zur Ausstattung gehörten nicht nur recht großzügige Unterkünfte, sondern auch eine geräumige Mannschaftsmesse, eine moderne Kombüse, Duschen, eine Trinkwasseraufbereitung und sogar eine Klimaanlage. Wegen des großen Tiefgangs von 3,80 m achtern und der hohen Windangriffsfläche habe es allerdings oft Probleme beim Einlaufen in den Heimathafen Dranske gegeben, erinnert sich Neidel. Deswegen seien die Schiffe 1988 auch nach Sassnitz verlegt worden.
…Wie die anderen vier Schwesterschiffe wurde die HANS BEIMLER Anfang der 1990er-Jahre demilitarisiert. Die Raketencontainer wurden zerstört, alle Geschütze mit Beton ausgegossen. 1994 ging das Schiff in den Besitz des Historisch-Technischen Museums Peenemünde über. Wind und Wetter, aber auch Vandalismus hinterließen im Laufe der Jahre ihre Spuren, bis die Korvette Ende 2013 zum Liegeplatz an der Nordspitze des Peenemünder Hafens umgesetzt wurde. Seitdem bemüht sich die MK Peenemünde, das Schiff, wenn schon nicht fahrtüchtig, so doch wenigstens weitgehend im Original wiederherzustellen.
…Seit Mai dieses Jahres sei das letzte Kriegsschiff der Volksmarine nun wieder öffentlich zugänglich, sagt Hans-Jörg Weber, der mit Gleichgesinnten in mühevoller ehrenamtlicher Arbeit die Bordausrüstung wieder auf Vordermann bringt. Rostschäden wurden im Sandstrahlverfahren beseitigt, und schrittweise erhält das Schiff auch wieder seinen alten Anstrich. „Wir haben sogar über das Internet und alte Kontakte zu ehemaligen Besatzungsmitgliedern in Deutschland, aber auch in Polen und Russland einige der ausgebauten oder geplünderten Ausrüstungen wieder ersetzen können”, sagt der Vorruheständler, einst letzter Batteriechef des benachbarten Flughafens Peenemünde. Im August habe man auch die Klappe eines Raketenbehälters geöffnet, um Besuchern einen Blick dorthin hinein zu ermöglichen, von wo aus einst 6,7 m lange und 2,5 t schwere Raketen bis 80 km weit abgeschossen werden konnten.
…Bis zu 40 Gäste hat Weber in diesem Sommer pro Tag an Bord des etwas abseits gelegenen Schiffes begrüßt. Doch die Einnahmen reichen kaum aus, um das Raketenschiff komplett instandsetzen und auf Dauer halten zu können. Alle Hoffnungen der MK richten sich deshalb jetzt auf die Hafensanierung, nach deren Abschluss spätestens 2017 ein besserer Zugang zu dem letzten Volksmarine-Schiff freigegeben werden soll.
…Das genaue Schicksal der bis Ende September 1990 noch in Dienst befindlichen 192 Schiffe und Boote der Volksmarine ist bislang nur lückenhaft bekannt. Der ostdeutsche Marinehistoriker und Fregattenkapitän a.D. Ingo Pfeiffer arbeitet derzeit an einer möglichst kompletten Übersicht, die er 2016 vorstellen will. Lediglich 18 % aller Schiffe und Boote seien zeitweilig von der Deutschen Marine noch in Dienst gehalten worden, sagr er. Die meisten Fahrzeuge wurden demilitarisiert, weltweit verkauft oder verschrottet.
…Unter anderem wurden Raketenschnellboote an Lettland, Küstenschutzschiffe und Versorger an Indonesien, Mienensuch- und Räumschiffe sowie Torpedo-Schnellboote an Tunesien, Malta und Estland sowie Seezeichenkontrollboote an die Niederlande veräußert. Sogar Singapur, Belize, Suriname und die Kap Verden profitierten vom Marineerbe der DDR. Und vier kleine Torpedoschnellboote sind heute als Museumsexponate in Dresden, Wilhelmshaven, Rechlin sowie auf dem Stralsunder Dänholm zu sehen.
(Quelle: Nordkurier vom 19./20. September 2015)
Korvette HIDDENSEE ist heute Museum in den USA Im Unterschied zu den USA ging die Marine der damaligen Sowjetunion technisch geschwächt aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Als Gegenstück zu den amerikanischen Flugzeugträgern setzten die Russen und später auch die DDR vor allem auf Raketenwaffen. |
Quelle: Leinen los 12/2015 |