2. Kommandeur

Kapitän zur See a.D. Dr. Joachim Dix

Meine Dienstzeit als Kommandeur des Küstenraketenregiments 18 (01.12.1987 – 23.01.1990)

Mit Wirkung vom 1. Dezember 1987 wurde ich als Kommandeur des KRR-18 der Volksmarine eingesetzt. Als Kommandeur unterstand ich direkt dem Stellvertreter des Ministers und Chef der Volksmarine, Vizeadmiral Theodor Hoffmann.
Bis zu meinem Dienstantritt im Küstenraketenregiment 18 war ich Leiter der selbständigen Unterabteilung Funkelektronischer Kampf  (heute als Elektronische Kampfführung – Eloka bekannt) im Kommando Volksmarine und unterstand direkt dem Stellvertreter des Chefs der Volksmarine und Chef des Stabes.
Zehn Tage vor diesem Datum wurde ich zu einem für mich sehr außergewöhnlichen und außerplanmäßigen Kadergespräch zum Stellvertreter des Ministers und Chef der Volksmarine (Chef VM) befohlen. Zugegen waren der Stellvertreter des Ministers und Chef der VM – Admiral Dr. Wilhelm Ehm, der Stellvertreter des Chef VM und Chef des Stabes – Vizeadmiral Theodor Hoffmann, der Stellvertreter des Chef VM und Chef Ausbildung – Konteradmiral Eberhard Grießbach und der Chef Kader der VM – Kapitän zur See Christian Pahlig. Zeit zum Überlegen oder Nachdenken gab es faktisch nicht und ich persönlich kannte auch keine Alternativen und nahm den Posten widerspruchslos an. Somit war ich, von heute auf morgen, Kommandeur eines Truppenteils. Als ich dann die Dienstgeschäfte des Kommandeurs übernommen hatte, war mir zwar die Situation allgemein bekannt, aber mir fehlten Details, so dass ich mich erst einmal gründlich mit der konkreten Lage, mit dem Leistungsstand, dem Leistungsvermögen, dem Stand der Gefechtsausbildung und Gefechtsbereitschaft vertraut machen musste. Nun war ich also Kommandeur eines modernen Truppenteils der VM, welcher über nicht wenige Raketen verfügte und alles was zu deren spezialtechnischen und Gefechtssicherstellung gehörte, in dem vor allem viele hochqualifizierte Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten auf Zeit, Grundwehrdienstleistende sowie Zivilbeschäftigte Dienst taten. Selbst eine eigene Feuerwehr und ein Heizhaus gab es in dieser Dienststelle. Nie hatte ich mit solchen Dingen vorher zu tun.  Als ich am nächsten Tag ganz allein durch „mein“ Objekt ging und die „geballte Ladung an Technik, Unterbringungs-, Sicherstellungs- und Dienstgebäude sah, regte sich in mir ein Gefühl des Stolzes, aber auch ein beklemmendes Gefühl, um nicht von Angst zusprechen, ob ich der wahnsinnig großen Verantwortung gegenüber der mir anvertrauten Technik und des mir anvertrauten Personalbestandes gerecht werde. Die Erwartungshaltung gegenüber meines Vorgesetzten sowie meiner Unterstellten und umgekehrt war selbstverständlich groß. Am Tag der Übergabe der Dienstgeschäfte, der mit einem militärischen Zeremoniell mit der Übergabe der Truppenfahne durchgeführt wurde, gab mir der neue Chef der Volksmarine, Vizeadmiral Hoffmann, folgende Worte mit auf dem Weg: „Die erste und vordringlichste Aufgabe  für Sie besteht darin, die Ihnen unterstellten Soldaten umsichtig und erfolgreich zu führen, ihre Probleme zu kennen, diese ständig zu analysieren und zu lösen. Als Kommandeur erhalten Sie nun eine große Machtbefugnis, missbrauchen Sie diese niemals, sondern nutzen Sie diese immer und ausschließlich zum Wohle Ihrer Unterstellten.“ Im Truppenteil herrschte sowohl bei den Soldaten, als auch bei den Zivilbeschäftigten durch die unbefriedigenden Ergebnisse der letzten Inspektion Unzufriedenheit, teilweise Resignation und Demotivation. Im Offizierskorp bemerkte ich eine gewissen Starre und Lustlosigkeit. Diesen Zustand musste ich so schnell als möglich ändern. Ich fand folgende Struktur in der direkten Unterstellung vor:

  • Stab: Stellvertreter und Stabschef (STKSC) Fregattenkapitän Wolfgang Schädlich. Mit der geplanten Versetzung von Wolfgang Schädlich ins MfNV, übernahm Korvettenkapitän Ralf Brennecke den Posten meines Stabchefs.
  • Polit: Stellvertreter des Kommandeurs der Politabteilung (STKPA) Fregattenkapitän Rainer Schultz, der mit mir am gleichen Tag seinen Dienst antrat.
  • Raketenbewaffnung: Stellvertreter des Kommandeurs für Raketenbewaffnung (STKRB) Fregattenkapitän Bernd Roesner
  • Rückwärtige Dienste: Der Stellvertreter für Rückwärtige Dienste, Fregattenkapitän Bernd Moritz, wurde auf eigenen Wunsch zum 01.04.1988 aus dem Truppenteil versetzt. Mit Wirkung zum 04.04.1988 wurde Kapitän zur See Karl-Heinz Kräusche in diese Dienststellung eingesetzt.
  • 1. KRA: Kommandeur Korvettenkapitän Wolfgang Domigalle
  • 2. KRA: Kommandeur Fregattenkapitän Peter Schwarz
  • Leiterin Geschäftsstelle: Stabsobermeisterin Petra Zülow
  • Kader: Oberoffizier Kader Korvettenkapitän Sascha Teuber
  • Finanzen: Oberoffizier Finanzökonomischer Dienst Kapitänleutnant Frank  Kretzschmann
  • Unterkunftsdienst: Frau Diplomingenieurin Lindner “?”
  • Mit Versetzung von Fregattenkapitän Klaus-Peter Gödde von der 6. Flottille in das KRR-18 mit Wirkung zum 1. Oktober 1988 übernahm er die Dienstgeschäfte des STKRB
  • Somit konnte zum 01. Oktober 1988 der neue Stellvertreterbereich Ausbildung geschaffen werden, den Fregattenkapitän Bernd Roesner als Stellvertreter des Kommandeurs für Ausbildung neu besetzte (STKA).

Meine vorrangigste Aufgabe sah ich nun darin, mit meinen Stellvertretern, den Offizieren des Stabes, den Kommandeuren der Küstenraketenabteilungen und deren Offiziere eine vertrauensvolle und zielorientierte Zusammenarbeit zu beginnen. Durch meine langjährige Arbeit im Kommando der Volksmarine kannte ich natürlich alle Leiter der Dienste und Chefs sehr gut und alle kannten auch mich. Die mir von ihnen angebotene persönliche Unterstützung nahm ich dankend an, die ich auch verdammt nötig hatte. Wenn ich Hilfe benötigte, dann geschah das vornehmlich auf den „kleinen Dienstweg“, im „direkten Richten“. Meist genügte ein Telefonat. Nachdem ich die allgemeine Lage im Truppenteil analysiert hatte, begann nun die konkrete Arbeit für meine Entschlussfassung. Zuerst studierte und präzisierte ich die wichtigsten Führungsdokumente, denn das AJ hatte vor einem Monat zuvor begonnen:

1. Anordnung des Kommandeurs über die Gewährleistung der ständigen Gefechtsbereitschaft und zur Überführung des KRR-18 in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft für je ein Ausbildungshalbjahr
2. Plan der Überführung in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft und des Gefechtsdienstes
3. Plan der politischen, allgemeinmilitärischen und spezialfachlichen Ausbildung
4. Plan der Gefechtsausbildung
5. Stabsdienstplan
6. Persönlicher Kontrollplan

Die von mir eingegebene Präzisierung der bestehenden Dokumente des AJ bestand darin, dass ich für das Ausbildungsjahr 1987/1988 die umfassende und weitreichende Aufgabe stellte die Voraussetzungen zu schaffen, damit im folgenden Ausbildungsjahr 1988/1989 das KRR-18 den Titel „Bester Truppenteil“ erreicht. Diese Aufgabestellung stellte sowohl an den Kommandeur, als auch an die Soldaten und Zivilbeschäftigten sehr hohe Forderungen, die dazu beitragen sollten eine spürbare und positive Veränderung im Truppenteil herbeizuführen. Vordergründig mussten alle notwendigen Voraussetzungen für eine effektive Gefechtsausbildung geschaffen werden. Mir war schon klar, dass dies unter den konkreten Bedingungen, die im Truppenteil bestanden, eine gewaltige Aufgabe war. Aber ich wollte und musste meinen „Männern“ ein oder besser mehrere „Erfolgserlebnisse“ garantieren. Mir war bewusst, dass diese Zielstellung nur durch eine Kollektivleistung aller Angehörigen und Zivilbeschäftigten unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Kräfte, wie Partei- und FDJ-Organisationen sowie der Gewerkschaft erreicht werden kann. Ab sofort wurden alle Ausbildungsmaßnahmen nach einem standardisierten Monatsplan organisiert und durchgeführt, der im Grunde auf dem Papier existierte, aber nie im notwendigen Umfang und mit der notwendigen Intensität umgesetzt wurde:
•    In der 1. Woche wird Spezialausbildung, die Ausbildung der Ausbilder und ein Tag taktische Ausbildung am bzw. im Objekt durchgeführt.
•    In der 2. Woche wird die taktische Ausbildung am bzw. im Objekt und im Gelände durchgeführt.
•    In der 3. Woche werden Parktage sowie die monatliche Wartung der Technik durchgeführt.
•    In der 4. Woche werden die gesellschaftswissenschaftliche Weiterbildung (GWW) und Politschulung sowie andere Maßnahmen der politischen Arbeit durchgeführt.

Dies stellte eine Optimierung und Zentralisierung aller militärischen Ausbildungsmaßnahmen im Truppenteil dar. Als Kommandeur führte ich persönlich die Ausbildung der mir direktunterstellten Offiziere, Kommandeure und Stellvertreter durch. Dazu wurde an drei zusammenhängenden Tagen im Monat die fachliche und taktische Ausbildung des Personals des Führungspunktes des Truppenteiles unter meiner persönlichen Leitung durchgeführt. Damit begann der Prozess der militärischen Ausbildung und Führung nach einheitlicher Idee und zielorientierter Aufgabenstellung.
Wir begannen im Führungsorgan, im Stab und in den Einheiten mit einer umfassenden und zielorientierten Arbeit nach einheitlichen Ansichten und Forderungen. Im Ergebnis gemeinsamer Beratungen, bei denen harte und kompromisslose Auseinandersetzungen geführt wurden, fixierten wir die einzelnen Etappen unserer anspruchsvollen Arbeit und legten Lösungswege für deren Erfüllung fest. Erstmalig, und das war ein Novum, führten wir ein Feldlager im Bestand des gesamten Regiments durch. Das war, auf Grund des Gefechtsdienstes, vorher nicht möglich, da nur im Bestand einer KRA ausgebildet werden durfte. Schwierig war, ein Ausbildungsgelände für die Entfaltung des gesamten Truppenteils zu finden. Aus früherer Tätigkeit war mir bekannt, dass die Schiffsstammabteilung 18 (SSTA-18) in der Nähe von Stralsund über ein derartiges Übungsgelände verfügt, welches noch eine Kfz-Lehrbahn besaß. Nach einer Besichtigung dieses Geländes entschlossen wir uns, dieses für die Durchführung unseres Feldlagers zu nutzen. Da ich den Kommandeur der SSTA-18, Kapitän zur See Dieter Koch, sehr gut kannte und auch er dem Chef der Volksmarine direkt unterstand, holte ich mir seine Genehmigung über den „kleinen Dienstweg“, per Telefon ein.
Allein die Entfaltung des Feldlagers, die Errichtung der Stabszone, die Einteilung in Technische Zone, Unterkunftszone und Ausbildungsgelände mussten erst trainiert werden. Das Einteilen der Wachen, die Organisation der Rundumverteidigung, das Schlafen im Zelt über einen längeren Zeitraum, das morgendliche Waschen mit freiem Oberkörper unter freiem Himmel am Wasserwagen, das Heizen der Zeltöfen und die gemeinsamen Mahlzeiten aus der Gulaschkanone waren für uns alle verdammt gewöhnheitsbedürftig, trugen aber ganz wesentlich zur Stärkung der Moral und dem Miteinander bei.
In die Zeit der Durchführung des Feldlagers fiel auch eine unangemeldete und überraschende Überprüfung der Gefechtsdiensteinheit – zwei mobile Startrampen mit je zwei Raketen und der zugehörigen Sicherstellungstechnik – durch eine Kontrollgruppe des Ministeriums für Nationale Verteidigung. Dies geschah gegen 22:00 Uhr. Der Diensthabende Offizier benachrichtigte mich, woraufhin ich mich sofort auf meinen mobilen Führungspunkt begab und zum Befehlsempfang beim Leiter der Kontrollgruppe meldete. Nach Erhalt der Überprüfungsdokumente und deren Studium erteilte ich die notwendigen Vorbefehle. Ich verstand in diesem Moment, dass das meine erste Überprüfung ist, für deren Ergebnis ich nun geradestehen musste. Die gestellte Aufgabe war sehr umfangreich und erstreckte sich über eine Nacht und zwei Tage und immerhin mit scharfen Gefechtsraketen. Die befohlene Aufgabe bestand in der Durchführung von Nacht-Kfz-Märschen, deren Sicherung, in der Verlegung in die Dislozierungsräume Darßer Ort und Barhöft, in der Durchführung eines Raketenschlages (imitiert) im Zusammenwirken mit den Gefechtsdiensteinheiten (Raketenschnellbooten) der 6. Flottille, die als Fühlungshalter im Interesse einer gedeckten Zielzuweisung handelten. Die Kfz-Märsche, jeweils nachts durch Stralsund in die befohlenen Dislozierungsräume, erforderten höchste Konzentration der Militärkraftfahrer. Während der gesamten Zeit regnete es wie aus Eimern, es herrschte starker Wind bis Sturm und kalt war es auch noch. Im genannten Zeitraum gab es keine Ruhe und keinen Schlaf, die Belastung war hoch. Der Raketenschlag wurde mit der Note „sehr gut“ erfüllt und ohne Vorkommnisse kehrten wir wieder in das Feldlager zurück. Meine zweckmäßigen und richtigen Entscheidungen während der Überprüfung brachte mir bei meinen Unterstellten erste Anerkennung ein, zumal wir letztendlich eine sehr gute Gesamteinschätzung erhielten. Dies war meine „Feuertaufe“ als Kommandeur und wir konnten in deren Ergebnis ein erstes und wertvolles „Erfolgserlebnis“ vorweisen, auf das alle stolz waren.
Im Mai 1988, unmittelbar nach dem Feldlager, erhielten wir eine Kontrolle durch die Verwaltung Inspektion des Ministeriums für Nationale Verteidigung unter Leitung des Chefs dieser Verwaltung, Generalmajor Käseberg. Diese Kontrolle erstreckte sich über mehrere Tage, und es wurden so ziemlich alle Bereiche des militärischen Lebens überprüft wie zum Beispiel:

  • Normen der Gefechtsausbildung und des Gefechtsdienstes
  • Normen des Gefechtseinsatzes
  • Normen der militärischen Körperertüchtigung
  • Normen des Schutzes vor Massenvernichtungswaffen
  • Einhaltung der Vorschriften der Lagerwirtschaft
  • Organisation und Durchführung von Kfz-Märschen
  • Dislozierung einer kompletten Küstenraketenabteilung und Führung eines Raketenschlages mittels Fühlungshalter“ im Zusammenwirken mit einem Raketenschnellboot der 6. Flottille.

Für die gesamte Überprüfung erhielten wir das Prädikat „Gut“. Auch diese Aufgaben hatten wir gemeinsam mit Bravour gemeistert und uns allen wiederum ein echtes „Erfolgserlebnis“ verschafft. Wir sollten einfach nicht zur Ruhe kommen, denn noch im selben Monat, Ende Mai, wurde in unserem Regiment für uns völlig überraschend und ohne Vorankündigung über einen Zeitraum von 3 Tagen durch eine Kontrollgruppe des Kommandos der Volksmarine die Gefechtsbereitschaft überprüft. Wir erhielten im Ergebnis dieser Überprüfung durch den Chef der Volksmarine das Gesamtprädikat „Gefechtsbereit“.

Am Ende des 1. Ausbildungshalbjares 1987/88 konnten wir einschätzen, dass der erreichte Ausbildungsstand die Erfüllung der befohlenen Gefechtsaufgaben sowohl unter einfachen als auch unter komplizierten Bedingungen gewährleistete. Insgesamt führten wir, neben den genannten Überprüfungen und Kontrollen, in diesem Zeitraum 11 planmäßige Trainings von Elementen der Gefechtsbereitschaft und 16 Überprüfungen der Gefechtsdiensteinheiten, selbständig handelnd und im Zusammenwirken mit den Schnellbooten der 6. Flottillen durch. Nach Abschluss des 1. Ausbildungshalbjahres 1987/88 wurden 94% der eingegangenen Verpflichtungen als „Beste Kollektive“ und 20% Einzelbeste des Personals realisiert und 69% der Angehörigen des Truppenteils erwarben eine Klassifizierung. Die 1. Küstenraketenabteilung wurde als „Beste Einheit“ durch den Chef der Volksmarine ausgezeichnet.
Insgesamt war die Belastung für den gesamten Personalbestand enorm hoch, aber die „Starre“ war überwunden, Erfolgserlebnisse waren vorzuweisen und für jeden sichtbar. Der Personalbestand war hoch motiviert und die erreichten Ergebnisse beflügelten. Mit diesen doch guten Ergebnissen und Erfolgen wurde das 1. Ausbildungshalbjahr 1987/88 abgeschlossen. Die absoluten Schwerpunkte für das 2. Ausbildungshalbjahr 1987/88 waren:

  1.  Der 6. Raktenschießabschnitt (RSA) des Regiments mit faktischem Waffeneinsatz im Raum Baltijsk auf dem Polygon der Baltischen Flotte der UdSSR.
  2.  Erreichen aller Voraussetzungen um am Ende des Ausbildungsjahres 1988/89 als „Bester Truppenteil“ ausgezeichnet zu werden.

Im Juli 1988 verlegten wir in das Raketenschießgebiet der Baltischen Flotte in den Raum Baltijsk. Schießende Einheit war die 1. KRA, deren Kommandeur Korvettenkapitän Domigalle war. Er war ein erfahrener und sehr loyaler Offizier, der von seinen Unterstellten geschätzt und geachtet wurde. Domigalle war vorher Kommandant eines Raketenschnellbootes der 6. Flottille und verfügte somit über sehr gute Kenntnisse und Fähigkeiten, die er als Kommandeur der 1. KRA einbrachte. Als Leiter des Schießabschnittes des KRR fungierte der Kommandeur. Nach dem Befehl für die 1.KRA, aus unserem Objekt der ständigen Dislozierung in Schwarzenpfost in den Überseehafen Rostock zu verlegen, begann faktisch der RSA. Dort lag ein großes Landungsschiff der Baltischen Flotte für uns bereit. Die Verlegung begann in den Abendstunden und die Einschiffung dauerte bis kurz vor Mitternacht. Nach Abschluss der Beladung begann dann die Überfahrt zum Hafen Baltijsk. Für mich war dies der 1. RSA mit faktischem Waffeneinsatz als Leiter des Schießens des KRR. Ich war natürlich gespannt, was mich und uns in Baltijsk erwartete. Im Hafen von Baltijsk empfing uns der Leiter des Vorkommandos, Kapitän zur See Kräusche, und meldete, dass das Feldlager entfaltet sei und die Verlegung der 1. KRA dorthin erfolgen könne. Ebenso wurden wir vom Kommandeur der Marineinfantriebrigade der Baltischen Flotte, Gardeoberst Anatolij Otrakowskij, und seinem Stellvertreter für Politische Arbeit herzlich begrüßt. Hieraus entwickelte sich eine echte Waffenbrüderschaft und persönliche Freundschaft. Angehörige der Marineinfantriebrigade waren für unsere Sicherheit im Feldlager verantwortlich. Wie sich später durch Gespräche miteinander herausstellte, war eine ganze Reihe von Angehörigen dieser Brigade auch im Afghanistaneinsatz.

Die Tage bis zum Schießen wurden hauptsächlich zur Vorbereitung der Technik und zum Regeln der zum faktischen Waffeneinsatz bestimmten Raketen genutzt. Außerdem gab es eine ganze Reihe von Maßnahmen mit den Angehörigen der Marineinfantriebrigade, wie gemeinsame Sportwettkämpfe, Exkursionen nach Baltijsk und Kaliningrad sowie in das Objekt der Marineinfanteristen. Dort konnten wir erleben, wie sich blutjunge und schüchterne Marineinfanteristen durch eine spezielle und umfangreiche Ausbildung zu echten durchtrainierten „Kämpfern“ entwickelten.
Am Tag des Schießens verlegten wir in den uns zugewiesenen Stellungsraum in das Gebiet bei KAP TARAN. Der Befehl lautete zwei Raketen zu schießen. Vor uns schossen die Schiffskräfte der Baltischen Flotte, der Polnischen Seekriegsflotte und der Volksmarine. Unser Schießen sollte gegen Mittag beginnen. Innerlich verspürte ich seltsame Unruhe und Anspannung. In diesen Minuten gingen mir erstaunlicher Weise die mir durch den Chef der Volksmarine gegebenen Ratschläge bezüglich Macht und Machtmissbrauch durch den Kopf, denn Raketen besitzen eine ungeheure Feuer- und Vernichtungskraft. Es war schon ein seltsames Gefühl, dennoch gelang es mir, mich auf meine Hauptaufgabe zu konzentrieren. Nach Erhalt des Signals und der Schlagzeit, erteilte ich alle notwendigen Befehle für den Start von zwei Raketen mit extrem kurzer Intervallzeit, denn es war vorgesehen die Besatzung zu wechseln. Die Zeit bis zum Erhalt der Information über die Schießresultate schien unendlich lang zu sein. Jeder von uns erwartete natürlich voller Spannung das Ergebnis. Endlich erhielten wir die Mitteilung: „Beide Raketen haben den Zielschiffskörper getroffen.“ Uns allen fiel natürlich ein Stein vom Herzen. Ich begab mich sofort zu Korvettenkapitän Domigalle und den Besatzungen der Rampe und beglückwünschte sie zu diesem Erfolg. Kurze Zeit darauf stellten wir die Marschbereitschaft her und verlegten zurück in den Raum unseres Feldlagers. Dort erwarteten uns schon der Kommandeur der Marineinfanteristen und einige seiner Stellvertreter, um mit uns den „Sieg“ zu feiern. Im Feldlager wurde unter Führung meines Stellvertreters für Rückwärtige Dienste mit dem im Feldlager verbliebenen Personal ein Biwak für uns alle vorbereitet. Ich genehmigte aus Anlass dieses sehr guten Ergebnisses die Freigabe von zwei Flaschen Bier für jeden Angehörigen. Damit war ich natürlich der Beste und der Größte. Wir feierten dann bis in die Nachtstunden gemeinsam mit unseren Marineinfanteristen beim Erzählen von Seemannsgarn, Witzen und natürlich von so manchen Zoten.

Zwei Tage später ging es dann wieder mit dem sowjetischen Landungsschiff zum Überseehafen nach Rostock zurück und schlussendlich in unser Objekt Schwarzenpfost. In unserer Abwesenheit haben die Angehörigen der 2. Küstenraketenabteilung, unter Führung von Fregattenkapitän Schwarz alle Aufgaben der „Ständigen Gefechtsbereitschafft“ und des Gefechtsdienstes vorbildlich erfüllt. Nun begannen für alle wieder die Aufgaben des täglichen Dienstes, die uns alle in Beschlag nahmen. Die Gefechtsausbildung wurde forciert und konnte ununterbrochen durchgeführt werden.
Sowohl die 1. KRA als auch die 2. KRA wurden am Ende des Ausbildungsjahres 1987/88 als „Beste Einheit“ ausgezeichnet. Es wurden folgende Ergebnisse erreicht:

  • Auszeichnung von 4 „Beste Startbatterien“
  • Auszeichnung von 2 „Beste Raketentechnischen Batterien“
  • 72% des Personalbestandes sind Träger einer Klassifizierung
  • 30% sind Träger des Militärsportabzeichens
  • 93% sind Träger der Schützenschnur
  • 5 Kollektive der Zivilbeschäftigten erreichen den Tittel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“

Mit diesen Ergebnissen und der Zielstellung den Bestentitel für den gesamten Truppenteil zu erringen, gingen wir an die Vorbereitung des Ausbildungsjahres 1988/89. Im Februar 1989 erhielt ich bereits die Mitteilung, dass wir mit 5 Startrampen, 5 Nachladefahrzeugen und 2 Jeeps an der Militärparade am 7. Oktober in Berlin teilzunehmen haben. Sowohl die mobilen Startrampen als auch die Nachladefahrzeuge haben Raketen mitzuführen. Das war eine Aufgabe, die vorher nicht geplant war. Es begann eine umfangreiche Vorbereitung. Als teilnehmende Einheit wurde die 1. KRA unter Führung Ihres Kommandeurs, Korvettenkapitän Domigalle, durch mich festgelegt. Am 05.04.1989 begann in unserem Truppenteil eine umfassende Kontrolle der Gefechtsausbildung durch den Bereich Chef Ausbildung im Auftrag des Chefs der Volksmarine. In dieser Kontrolle wurden uns gute und sehr gute Ergebnisse bestätigt. Außer diesen Aufgaben und der Kontrolle mussten wir uns auch auf unsere Hauptaufgaben, nämlich den 7. Raketenschießabschnitt (RSA), vorbereiten. Dieser RSA fand im Monat Juli statt. Als schießende Einheit wurde die 2. KRA festgelegt, Kommandeur Fregattenkapitän Peter Schwarz. So wie auch beim vorjährigen RSA waren die Organisation und die Durchführung ähnlich angelegt. Nach Verlegung der 2. KRA zum Überseehafen nach Rostock wurde mit der Beladung auf das bereitgestellte große Landungsschiff der Baltischen Flotte begonnen. Danach erfolgte die Überfahrt nach Baltijsk. Im Hafen von Baltijsk empfing uns der Leiter des Vorkommandos, Fregattenkapitän Klaus-Peter Gödde und meldete die Bereitschaft des Feldlagers zur Durchführung des RSA. Ebenso wurden wir durch den Kommandeur der Marineinfantriebrigade und einigen seiner Stellvertreter herzlich willkommen geheißen, die uns auch in das Feldlager begleiteten. Mit dem Eintreffen im Feldlager am gleichen Ort wie im Vorjahr, begann ohne Zeitverzögerung die aktive Vorbereitung des Personals und der Technik auf das faktische Raketenschießen. Die Aufgabe lautete: Start von zwei Raketen auf das Zielschiff.

Anders als im vergangenen Jahr gab es dieses Mal doch einige Höhepunkte, die so nicht vorauszusehen waren. So besuchte uns der Chef der Volksmarine gemeinsam mit dem Chef der Politischen Verwaltung, Konteradmiral Helmut Milzow, ganz überraschend im Feldlager. Nachdem ich die beiden Admirale begrüßt hatte, meldete ich den Entschluss zur Durchführung des Raketenschießens. Vizeadmiral Hoffmann gab mir noch wichtige Hinweise, die ich in jedem Fall zu beachten hatte, wofür ich sehr dankbar war. Dann inspizierten die beiden Admirale gemeinsam mit mir die Ordnung und Sauberkeit, den hygienischen Zustand und die Sanitäranlagen sowie die Unterbringung im Feldlager. Bei diesem Rundgang durch das Feldlager führten beide Admirale eine ganze Reihe von individuellen Gesprächen mit allen Dienstgradgruppen über persönliche Probleme und Sorgen, sowie über die Qualität der Truppenverpflegung und der Unterbringung. Bei einer Tasse Kaffee gab es dann noch ein sehr kameradschaftliches Sechsaugengespräch. Als die Besucher sich verabschiedeten und ich vom Chef VM einen Klaps auf die Schulter bekam, habe ich das als gutes Omen gewertet und dachte mir, dass beide Admirale zufrieden die Rückreise antreten können. Auch der  Chef der Raketentruppen und Artillerie der Baltischen Flotte und der Kommandeur des dortigen Küstenraketenregiments in Donskoje, Oberstleutnant Anatoly Butenko stattete uns einen Besuch ab. In Absprache mit dem Chef Raketentruppen und Artillerie haben wir als Gastgeber den Kommandeur der Marineinfantriebrigade und seine Stellvertreter nebst Ehefrauen zu einem gemütlichen Abend eingeladen. Ein kleines Präsent – Kosmetika aus der DDR – überreichte ich als Willkommensgeschenk den Frauen, worüber sie sich sehr freuten. Dieses gesellige Beisammensein fand in einem Lehrgebäude der Marineinfanteristen statt, unweit unseres Feldlagers. So saßen wir bis in den späten Abend hinein gemeinsam direkt am Ostseestrand unmittelbar auf der Tribüne, wo eigentlich Delegationen, Militärattachés und sonstige hohe Vertreter aus Wirtschaft und Politik Platz nehmen und die Vorführungen bei den Seeanlandungen der Marineinfanterie zuschauen und unterhielten uns über die großen Veränderungen, die die Perestroika in der Sowjetunion mit sich brachten, deren mögliche Auswirkungen auf unsere DDR und über ganz belanglose oder rein persönliche Dinge. Mit dem Kommandeur der Marineinfanterie sprachen wir ab, einen Verkaufstag mit der Militärhandelsorganisation im Feldlager zu veranstalten, was alle begrüßten, allein der hübschen Verkäuferinnen wegen.
Am Tag des Schießens verlegten wir in den Morgenstunden in den festgelegten Stellungsraum. Wie im Vorjahr schossen zuerst die Schiffskräfte und danach wir. Zuerst wurde eine Rakete gestartet, dann wurde die Besatzung gewechselt und schon ging das Schießen planmäßig weiter. Die Entfernung zum Zielschiff betrug  35 km. Beide Raketen haben das Ziel getroffen. Kurz nachdem ich die schießenden Besatzungen beglückwünscht hatte, erhielt ich die Information, dass der Chef der Volksmarine mit 10-15 hochrangigen Admiralen und Generälen in ungefähr einer Stunde zu uns in den Stellungsraum kommen wird und ich möge dazu „alles“ vorbereiten. Nach dieser Information musste ich mich erst einmal hinsetzen, um nachzudenken, was mit „alles“ gemeint war. Danach stimmte ich mich mit Fregattenkapitän Schwarz ab und wir bereiteten Folgendes vor:

  1. Aufbau von Bänken und Tischen, die zum Standardequipment unserer Feldlagerausrüstung gehörten (Biergartenausrüstung)
  2. Makkaroni mit Gulasch als Mahlzeit aus der Feldküche zu „zaubern“
  3. Jedem Gast soll deutsches Bier oder Wodka, je nach Wunsch, angeboten werden

Mein Kraftfahrer fuhr mit dem Auftrag ins Feldlager, dem Oberoffizier für Verpflegung, Korvettenkapitän Rüdiger Kullick, zu übermitteln, dass er unverzüglich weiße Bettlaken, die als Tischtücher verwendet werden sollten, zwei Backschafter mit weißen Jacken, Bier und einige Flaschen Wodka nebst Gläsern in den Stellungsraum zu befördern hatte. Alles kam wie gewünscht an und gegen 15.15 Uhr war die Vorbereitung für den Empfang abgeschlossen. Nach Ankunft der Wagenkolonne erstattete ich dem Chef VM Meldung und lud ihn und seine Gäste zu einem gemeinsamen Mittagessen unter freiem Himmel und Feldbedingungen ein. Als die Gäste dann die eingedeckten Tische mit weißen Tischdecken, gefüllten Gläsern und die weißen Jacken der Backschafter sahen, staunten sie nicht schlecht. Auch dem Chef VM huschte ein Lächeln über das Gesicht, naja, auf seine Jungs ist eben doch Verlass! Admiral Theodor Hoffmann forderte mich auf, als Gastgeber den ersten Toast auszubringen, danach folgten unser Chef und auch einige der Gäste. Ein sowjetischer Admiral fragte ganz erstaunt, wie es denn möglich sei, dass ein Regimentskommandeur unter diesen Bedingungen den Ausschank von Alkohol anweisen darf. Vizeadmiral Hoffmann hat für mich geantwortet, worüber ich sehr froh war. Er sagte: „Der Regimentskommandeur hat den Start von zwei Raketen befohlen, dann hat er auch das Recht, eine solche Weisung zu erteilen.“ Damit hatte unser Chef natürlich die Lacher auf seiner Seite. Zum Abschluss erhielten wir vom Chef VM ein dickes Lob dafür, dass „alles“ so gut geklappt hat und natürlich auch für unser sehr gutes Schießergebnis. Auch die Gäste sparten nicht mit Lob und Anerkennung. Auch diese Übung war gelungen! Nach zirka einer Stunde war dieser „Feldempfang“ beendet und die Wagenkolonne fuhr ab. Ich denke, allen hat es bei uns gefallen und alle waren zufrieden. Stunden später erreichten wir dann wieder unser Feldlager, wo ein Biwak mit Grillwürstchen und Steak vorbereitet war. Auch gab es dieses Mal wieder pro Nase zwei Flaschen Bier. Das Thema Nr.1 an diesen Abend war natürlich der Besuch von Vizeadmiral Hoffmann und seine hohen Gäste in unserem Truppenteil. Besonders nachhaltig blieb den Angehörigen des KRR-18 im Gedächtnis, dass der Chef der VM sich für so einfache Sachen interessierte wie Verpflegung, Hygiene und den allgemeinen Lebensbedingungen im Feldlager und das er sich mit vielen persönlich über deren Wohlbefinden erkundigte und sich so unkompliziert mit Ihnen unterhielt. Damit war die letzte Etappe des diesjährigen RSA eingeleitet und im Hafen von Baltijsk wurden wir von unseren Marineinfanteristen herzlich verabschiedet und das Musikkorps intonierte uns zu Ehren „Kalinka“ und „Muss i denn zum Städtele hinaus“. Bei einem gemeinsamen Saunabesuch mit unseren Marineinfanteristen erzählte ich, dass wir gern in unserem Heimatobjekt auch eine Truppensauna errichten wollten, aber es fehlten die notwendigen Bretter, die in der DDR Mangelware sind. Zwei Tage später holte mich der Kommandeur ab und fuhr mit mir in den Wald. Was ich dort sah, verschlug mir fast den Atem. Ein mobiles Sägewerk, welches Baumstämme zu Brettern sägte. Der Kommandeur sagte: „Die sind für Eure Truppensauna“.
Gemeinsam mit dem Stellvertreter für Politische Arbeit berieten wir, ob es denn möglich sei, ein solches Geschenk anzunehmen. Wir vertraten die Auffassung, es zu tun, da es für einen guten Zweck sei und sich niemand persönlich bereichern wollte. Da wir mehr Bretter bekamen als benötigt, waren wir uns einig, diese an Berufssoldaten zu verschenken. Uns war auch klar, dass ich den Chef der Volksmarine über diesen Sachverhalt zu informieren hatte, was auch geschah. Mulmig war mir dabei schon gewesen. Wir verluden dann die Bretter auf die verfügbaren LKW und traten „voll“ beladen die Heimreise an. Die Truppensauna konnte nicht fertiggestellt werden, da die begonnene Entwicklung in der DDR für uns andere Prioritäten setzte.

Somit war auch der 7. Raketenschießabschnitt „Geschichte“. Nun galten alle Anstrengungen der weiteren Vorbereitung und Durchführung der Militärparade durch die 1. Küstenraketenabteilung. Das sollte aber nicht alles sein. Anfang August erreichte uns die Information, dass unserem Regiment aus den Händen des Ministers für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Keßler, ein Ehrenbanner des ZK der SED in Anerkennung unserer bisher gezeigten Leistungen überreicht werden sollte. Dies erfüllte uns zwar mit viel Stolz, war aber auch mit sehr viel zusätzlicher Arbeit verbunden. Das hieß konkret, ab sofort alle Anstrengungen auf beiden anstehenden Maßnahmen zu konzentrieren. Gleichzeitig mussten auch das tägliche Regime in der Dienststelle und im Gefechtsdienst sichergestellt werden. Somit entstand in unserem Truppenteil eine sehr komplizierte und angespannte Situation, die eine enorm hohe Bereitschaft des gesamten Personals, besonders der Berufssoldaten und ihrer Familien erforderte. Meine Männer standen die gesamte Zeit über in den „Stiefeln“.
Nach dem Klarmachen der Aufgabe und Festlegen einer Idee für die Lösung der nun anstehenden Aufgaben, ging es nunmehr um deren Erfüllung. Sehr umfangreich  und zielorientiert wies ich die Stellvertreter, den Stab und die Einheitskommandeure in die Schwerpunkte der Aufgaben und deren Umsetzung ein. Der Stellvertreter für Politische Arbeit erarbeitete parallel dazu die Aufgabenstellung für die Partei- und FDJ-Organisationen. Ich verspürte beim Personal aller Dienstgradgruppen eine hohe Bereitschaft und Moral. Allen war klar, dass wir nur gemeinsam und nach einheitlicher Idee diese umfangreichen Aufgaben erfüllen können. Die Angehörigen des Truppenteils waren sehr motiviert. Um die Vorbereitung der Paradetechnik bis hin zur Farbegestaltung (Tarnanstrich) zu gewährleisten, beauftragte ich den Stellvertreter für Technik und Ausrüstung, Fregattenkapitän Jürgen Galda, mit dieser Aufgabe. Jürgen Galda war ein pfiffiger und hochqualifizierter Offizier. Es gab auf seinem Spezialgebiet nichts, was er nicht konnte. Er war ein „Hans Dampf in allen Gassen“. Ich wusste, auf ihn kann ich mich 100%-ig verlassen – und so war es auch.
Die 1. KRA verlegte am 11. September 1989 in ein riesiges Feldlager nach Paaren am Autobahnabschnitt 149 auf dem Berliner Ring, wo die gesamte an der Parade teilnehmende Radtechnik der NVA untergebracht war und dort auch die Trainings durchführte. Auch ich nahm an diesen ersten Fahrübungen der Paradetruppen teil. Gleichzeitig lief aber auch die Vorbereitung des Ministerbesuches in unserer Dienststelle, so dass ich zwischen Paradetraining und Vorbereitung Ministerbesuch ständig zwischen Autobahn und Schwarzenpfost hin und her pendelte. In diesen Tagen war ich froh Unterstellte zu haben, denen ich blind vertrauen konnte, weil sie unsere nicht einfachen gemeinsamen Aufgaben auch während meiner Abwesenheit nach einheitlicher Idee mich tatkräftig unterstützen. Allein hätte ich das nie bewerkstelligen können. Nach Abschluss der Trainings auf der Autobahn verlegte die 1. KRA nach Lehnitz, eine Dienststelle des Artillerieregiments-1 der Landstreitkräfte. In diesem Objekt wurde die gesamte Paradetechnik vor allem farbtechnisch vorbereitet. Nachdem diese Arbeiten, die immerhin ein paar Tage in Anspruch nahmen, abgeschlossen waren, verlegte die 1. KRA nach Biesdorf, ebenfalls eine Dienststelle der Landstreitkräfte. Nun begann die unmittelbare Paradevorbereitung. Es folgten u.a. die nächtlichen Paradetrainings mitten in Berlin.
In der Dienststelle Schwarzenpfost lief natürlich die Vorbereitung des Ministerbesuches auf Hochtouren, denn es gab noch jede Menge zu tun. So waren das Stabs-, das Lehr- sowie einige kleinere Gebäude, die vor vielen Jahren errichtet wurden als es noch kein Küstenraketenregiment gab, farblich in einem nicht guten Zustand. Nach der Methode „hilf Dir selbst“ beauftragte ich den Oberoffizier Kader, Korvettenkapitän Sascha Teuber, Maler und Maurer auszuwählen, um Abhilfe zu schaffen. Es wurden je eine Maler- und eine Maurerbrigade gebildet, die von allen Aufgaben und Diensten freigestellt wurden. Jede Brigade bestand aus acht Mann inklusive Brigadier. Die Maurer sollten ein neues OVP-Gebäude errichten. Das dazu erforderliche Baumaterial wurde über den eigenen Unterkunftsdienst besorgt. Das Gebäude wurde termingemäß fertiggestellt – und alles in Eigenleistung. Diesen Neubau errichteten wir nicht nur, weil der Minister uns besuchen wollte. Gerade der Altbau dieses Wach- und Dienstgebäudes war zu klein, über Jahre verschlissen, mit anderen Worten – eine Zumutung für unsere Soldaten. Es entsprach so gar nicht den zeitgenössischen Lebens.-und Dienstbedingungen, von deren Verbesserung in jenen Tagen recht viel gesprochen wurde. Wir wollten aber nicht nur sprechen, sondern auch dafür etwas tun. Der Brigadier der Malerbrigade unterbreitete einen akzeptablen Vorschlag bezüglich der Fassadengestaltung – und los ging es. Da Fassadenfarbe in der NVA so schnell und in den benötigten Mengen nicht besorgt werden konnte, haben wir uns entschlossen, überalterte Technikfarbe in den vorhandenen Mengen zu verwenden. Grau und olivgrün sowie braun und Beigetöne waren jeweils vorhanden, aber nicht so viel, um mit einer einzigen Farbe alles neu zu gestalten. Danach sahen die Außenwände der Gebäude schick aus, so richtig im Tarnanstrich. Beide Brigaden bekamen sowohl von mir als auch vom Personal viel Lob und Anerkennung. Natürlich hatte ich vorher mit jedem Einzelnen über diese außergewöhnliche Arbeit gesprochen und um ihr Einverständnis gebeten. Alle sagten mir im Nachhinein, dass es eine Freude war, wieder einmal in ihren Berufen gearbeitet zu haben.
Die Tore der Kfz-Hallen waren alle im Laufe der Zeit stark verbeult, teilweise funktionsuntüchtig und der Farbzustand war auch nicht mehr der Beste. Um diesen Mängel zu beheben, benötigten wir sehr viel Geld. Es waren ca. 100.000 Mark erforderlich, die wir aber aus eigenen Mitteln nicht zur Verfügung stellen konnten. Ich rief den Chef der Volksmarine an und bat um Unterstützung. Einen Tag später teilte mir Vizeadmiral Hoffmann mit, dass die angeforderte Summe an unsere Finanzstelle überwiesen werden. So war unser Chef, er half, wenn es immer möglich war. Wir kauften neue Hallentore, ließen sie von einer beauftragten Firma montieren und mit diesem „Kraftakt“ und der Hilfe von „oben“, konnten wir die technische Vorbereitung auf den Ministerbesuch abschließen. Parallel dazu musste aber auch der Personalbestand auf diesen Höhepunkt vorbereitet werden. Wir trainierten die Antreteordnung, das Stillstehen über einen längeren Zeitraum und den Vorbeimarsch, denn wir wollten uns schließlich nicht vor dem Minister, dem Chef der Volksmarine und den geladenen Gästen blamieren.

Schließlich war es dann auch soweit. Am 25. September 1989 empfing ich den Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Keßler, am Eingang unseres Objektes und erstattete Meldung. Danach begleitete ich den Minister zur angetretenen Ehrenkompanie und anschließend in unser Klubgebäude, wo bereits der Chef VM, weitere Admirale und Offiziere, unsere sowjetischen Waffenbrüder und hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft aus dem Bezirk Rostock den Minister erwarteten. Bei deiner Tasse Kaffee informierte der Chef VM die Anwesenden über Platz und Rolle unseres Truppenteils innerhalb der Volksmarine und danach gab ich einen Auskunftsbericht über unser Regiment. Diese Maßnahme dauerte ungefähr eine Stunde. Danach begab sich der Minister zum Paradeplatz. Nach kurzer Meldung begleitete ich ihn beim Abschreiten der Front und anschließend auf die Ehrentribüne. Die Ehrengäste wurden durch den Chef VM vorab schon zur Tribüne geführt. Der gesamte Personalbestand des Regiments war in Paradeuniform angetreten. Die Fahnenkommandos für die Truppenfahne und das Ehrenbanner standen mit Blickrichtung zur Ehrentribüne. Nachdem der Minister die Truppe begrüßt hatte, bedankte ich mich im Namen aller Angehörigen des Truppenteils für die nun folgende Auszeichnung und die damit verbundene Wertschätzung. Im Anschluss übergab mir Armeegeneral Keßler das Ehrenbanner des ZK der SED anlässlich des 40. Jahrestages der DDR. Wir hatten darum gekämpft, haben viel erreicht und waren nun sehr stolz darauf. Nur drei weitere Truppenteile der NVA und der Grenztruppen erhielten diese hohe Auszeichnung, wobei von der Volksmarine wir der einzige Truppenteil waren,  dem diese Anerkennung zuteil kam. Der offizielle Teil des militärischen Zeremoniells fand mit dem Vorbeimarsch des Regimentes an der Ehrentribüne im Exerzierschritt seinen Abschluss.  Kurz darauf zeigten wir dem Minister, dem Chef VM und unseren Gästen die Lehrbasis, die technische Zone, die Unterkunftszone und den Kfz-Park. Dabei nutzte der Minister die Gelegenheit, um mit vielen Soldaten aller Dienstgradgruppen persönliche Gespräche zu führen. Wiederholt stellte er die Frage, warum denn so viele Menschen die DDR verlassen wollen. Ich war erstaunt, wie offen meine Männer mit diesem Problem umgingen und den Minister auch ehrlich ihre Meinung sagten.
Im Anschluss fand ein Empfang statt, an dem, außer unseren Gästen, natürlich auch viele Soldaten aller Dienstgradgruppen des Regiments teilnahmen. Nach dem Empfang verließen alle wieder unsere Dienststelle. Ich habe dann die Gelegenheit genutzt, um mich mit einem Glas Sekt bei den mir direkt Unterstellten für die mir gewährte Unterstützung und das mir entgegengebrachte Vertrauen zu bedanken. Nun war auch dieser Höhepunkt geschafft.
Am nächsten Tag wurde das Personal der 1. KRA wieder nach Lehnitz verlegt, um die Paradevorbereitung fortzusetzen. Kurze Zeit darauf begab auch ich mich nach Lehnitz.
Am 07.10.1989, pünktlich um 10:00 Uhr, begann die Militärparade der NVA in Berlin. Nach Meldung des Kommandierenden der Paradetruppen, Generaloberst Stechbart, Chef der Landstreitkräfte, an den Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Kessler, begann der Vorbeimarsch der Fußtruppen und danach der technischen Einheiten an der Ehrentribüne. Unser Truppenteil war der Vorletzte. Alles lief exakt und ohne Vorkommnisse. Nach dem Vorbeimarsch ging es sofort wieder nach Biesdorf. Ich meldete mich beim Operativen Diensthabenden der Volksmarine und bat um weitere Order. Ich erhielt den Befehl um 19:00 Uhr am 07. Oktober 1989 in einer Marschkolonne, ohne Unterbrechung über die Autobahn in Richtung Rostock nach Schwarzenpfost zu verlegen.
Als wir nach Beendigung der Militärparade am 7. Oktober 1989 zu später Stunde unser Objekt erreichten, sollte es in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten nicht mehr so sein wie es bisher war, denn die nun beginnenden Ereignisse haben unsere weitere Tätigkeit und Entwicklung stark geprägt und bestimmt. Dennoch haben wir unser großes Ziel am Ende des Ausbildungsjahres 1988/89 als „Bester Truppenteil“ ausgezeichnet zu werden, nie aus den Augen verloren. Beide Küstenraketenabteilungen wurden als „Beste Einheit“ und das Küstenraketenregiment 18 als „Bester Truppenteil“ ausgezeichnet und dies erstmalig seit seinem Bestehen.

(In der Tageszeitung  “Neues Deutschland”, vom 20.09.1989, wurden alle mit diesem Ehrenbanner für herausragende Leistungen im sozialistischen Wettbewerb ausgezeichneten Betriebe, Genossenschaften, Institutionen und Einrichtungen namentlich veröffentlicht.)

Es war ein langer, anstrengender und entbehrungsreicher, aber erfolgreicher Weg und Kampf gewesen. Die Auszeichnung nahm der Chef des Stabes, Konteradmiral Rolf Rödel vor, da der Chef der VM auf Grund der politischen Ereignisse terminlich verhindert war. Die Arbeit im Truppenteil war nunmehr hauptsächlich von den politischen Ereignissen und der daraus folgenden Entwicklung in der NVA geprägt. Es begann auch die neue Militärreform, die wir umzusetzen hatten.

Am 18.11.1989 wurde Vizeadmiral Hoffmann zum Minister für Nationale Verteidigung berufen. Neuer Chef VM wurde mit Wirkung vom 11.12.1989 Vizeadmiral Hendrik Born. Gegen Mittag des 22.01.1990 wurde ich wieder einmal ohne Vorankündigung und völlig überraschend zum Chef VM befohlen. In einem sehr ausführlichen und kameradschaftlichen Gespräch hat mich Vizeadmiral Born davon überzeugt, dass ab sofort mein Platz und meine Rolle wieder im Kommando der Volksmarine an seiner Seite sein sollte. Nach dem Grundsatz „neue Umstände erfordern auch neue Maßnahmen“ willigte ich ein und wurde zum 23.01.1990 in meine neue Dienststellung versetzt.  Ich arbeitete als „Leiter der Abteilung für Staatsbürgerliche Arbeit“ und hatte die Aufgabe in der Volksmarine nach dem Muster der Bundeswehr (Innere Führung) die Struktur der Staatsbürgerlichen Arbeit in der Volksmarine aufzubauen.

Als meinen Nachfolger habe ich dem Chef VM meinen Stellvertreter für Raketenbewaffnung und nicht meinen Stabschef vorgeschlagen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er der richtige Offizier war, der unter der sich abzeichnenden Entwicklung in der DDR und damit auch in der NVA die Geschicke des Regiments am besten in den Griff bekommen wird. Fregattenkapitän Peter Gödde hatte einen sehr ausgeglichenen Charakter und eine sehr hohe Akzeptanz beim Personal. Dieses Vertrauen hat er im vollem Umfang gerechtfertigt. Mit sehr viel Umsicht, Fingerspitzengefühl und Anstand hat Gödde  unseren Truppenteil bis zu seinem Existenzende führen müssen. Dafür gilt ihm großer Respekt – einen modernen und kampfstarken Truppenteil vom Höhepunkt bist zur Auflösung pflichtbewusst zu führen. Ich glaube, die schwerste Aufgabe eines Kommandeurs besteht darin, seinen eigenen Truppenteil „ohne Gegeneinwirkung“ zu Grabe tragen zu müssen.
Damit war meine Dienstzeit im Küstenraketenregiment 18 beendet. Diese Dienststellung war für mich die Schwierigste, aber auch die Schönste. Ich würde es immer wieder so tun. Zu Ende meiner Dienstzeit im KRR-18 haben mir viele Angehörige verraten, dass sie unsere Dienststelle liebevoll seit über einem Jahr „DIXILAND“ nennen. Das war für mich das größte Lob meiner Männer gewesen.

Einen besonderen Menschen gibt es in meinem Leben, den ich außergewöhnlich schätze und verehre, der mich gefordert, aber auch gefördert hat und dem ich meine gesamte doch erfolgreiche militärische Entwicklung in der Volksmarine zu verdanken habe  –  Admiral a.D. Theodor Hoffmann.

Dixiland – Fotogalerie