Erinnerungen des 1. Kommandeurs des KRR-18

Vier Jahre diente ich als Kommandeur des Küstenraketenregiments 18. (KRR-18)

Rückblickend möchte ich sagen, dass es die besten, erfolgreichsten aber auch anspruchsvollsten Jahre waren von insgesamt vierunddreißig meiner Dienstzeit in der Nationalen Volksarmee (NVA) von 1956 bis 1990.

Beginnend mit der Einsetzung als erster Regimentskommandeur ist es mir gelungen, entsprechend der Aufgabenstellung aus einer Startbatterie und einer Raketentechnischen Batterie ein gefechtsbereites Regiment im Bestand der Führung, zweier Küstenraketenabteilungen und einer Reihe sicherstellender Einheiten aufzubauen. Darauf bin ich stolz, vergesse aber nicht, dass die Erfüllung dieser komplizierten Aufgabe ohne die tatkräftige Mitarbeit aller anderen Angehörigen des Regiments nicht möglich gewesen wäre.

Auf keinen Fall möchte ich Ereignisse aus dem Leben unseres Regiments nüchtern und chronologisch aufzählen. Dafür haben wir die „Zeittafel“ aus der Chronik als Zusammenfassung der wichtigsten Daten der Geschichte der Küstenraketentruppen in einer gesonderten Anlage zusammengestellt. Vielmehr möchte ich meine persönlichen Erinnerungen, Eindrücke und Meinung real und kritisch darlegen. Ich konzentriere mich auf die Höhepunkte und versuche zugleich den Ablauf des Dienstes in einem der schlagkräftigsten Truppenteile der Volksmarine mit all den Schwierigkeiten der gleichzeitigen Erfüllung einer immensen Anzahl von zum Teil gleichrangigen Aufgaben darzustellen. Außerdem schildere ich Einzelheiten aus meinem persönlichen Leben, um damit an das komplizierte Familienleben unserer Berufssoldaten zu erinnern.

Übergabe der Truppenfahne der 5. Raketen- Torpedoschnellboots- Brigade 1982

Anmerken möchte ich, dass viele kritisch angeführte Probleme mir erst jetzt in dieser Schärfe bewusst geworden sind. Das liegt daran, dass ich während meiner Dienstzeit aus Zeitmangel nicht darüber nachdachte und ich mir das sowieso hätte sparen können, weil das Ansprechen dieser Probleme bei meinem Vorgesetzten wenig geändert und sie die Kritik keinesfalls vergessen hätten. Ich habe das selbst mehrmals erlebt. Diese Situation wird eindeutig erklärt durch die folgende Anekdote, die ich während meines Studiums an der Akademie der Sowjetischen Seekriegsflotte hörte. In der Grundsatzdienstvorschrift einer Armee steht:

1. Der Vorgesetzte hat immer Recht!
2. Der Unterstellte hat nie Recht!
3. Im Zweifelsfall ist nach 1. zu entscheiden!

Mit diesen wichtigen Paragrafen hatte ich oft Schwierigkeiten. Ausgehend von meiner soliden Bildung und den umfassenden praktischen Erfahrungen in allen Dienststellung an Bord vom I. Wachoffizier bis zum Brigadechef sowie von meinem ehrlichen und offenen Charakter war ich für einige meiner Vorgesetzten mit meinen eigenen Ideen, Vorstellungen und häufigen, auch mitunter unangenehmen, Fragen ein unbequemer, aufmüpfiger Unterstellter. Ich hätte diese verhältnismäßig hohe Dienststellung und den hohen Dienstgrad wohl nie erreicht, wenn ich nicht andererseits auch Fähigkeiten für die Truppenführung entwickelt hätte.
Nach der Wende und der damit verbundenen Entlassung aus der Bundesmarine blieb mir kaum die Möglichkeit zum Philosophieren. Meine gesamten psychischen und physischen Kräfte musste ich in meinen neuen Beruf investieren, um mich erst so schnell wie möglich und dann laufend in unserer völlig veränderten Gesellschaft zu behaupten. Jetzt nehme ich mir die Zeit dafür und hier ist das Ergebnis.

Abschied von Bord und Ausgangslage für die neue Aufgabe

Nachdem ich zuletzt drei Jahre als Stabschef und vier Jahre als Chef der 5. Raketen- Torpedoschnellboots- Brigade in der 6. Flottille der Volksmarine in Dranske auf der Insel Rügen meinen Dienst versehen hatte, beantragte ich Anfang 1982 meine Versetzung in den Standort Rostock. Gründe dafür waren, dass meine Familie in Rostock wohnte und dass der Chef der 6. Flottille, Konteradmiral Joachim Dönitz, mit dem mich eine sehr gute Zusammenarbeit verband, versetzt werden sollte. Mit seinem designierten Nachfolger bestanden schwerwiegende Probleme im gegenseitigen Verständnis, die zu einer langfristigen Konfrontation mit viel Ärger führen mussten, in der ich als Verlierer vorprogrammiert war und denen ich so aus dem Wege gehen wollte. Der Flottillenchef lehnte mein Gesuch wie erwartet ab, so dass ich gezwungen war, mit einem ärztlichen Attest, in dem mir wegen eines kleinen orthopädischen Fehlers Seeuntauglichkeit bescheinigt wurde, nachzuhelfen.


Verabschiedung durch den Chef der 6. Flottille, Konteradmiral J. Dönitz und seine Stellvertreter.

Das war gegenüber meinem Flottillenchef nicht sehr fair, aber ich fühlte mich dazu gezwungen und er trug es mir auch nicht nach. Nach über 11 Jahren harten aber erfolgreichen Dienstes in der 6. Flottille wurde ich mit allen Ehren verabschiedet – für mich ein schwerer Abschied von Bord!

Im April 1982 begann ich meinen Dienst als Oberoffizier in der Abteilung Operativ im Stab der Volksmarine,

Kommando der Volksmarine (KVM), in Rostock. Stellvertreter des Chefs des Stabes für Operative Arbeit und damit mein Vorgesetzter war Konteradmiral Theodor Hoffmann, den ich aus gemeinsamer Arbeit in der 6.Flottille gut kannte und als mein Vorbild verehrte. Er hatte mich bei meiner kurzfristigen Versetzung unterstützt und für meinen Einsatz extra eine neue Dienststellung in seinem Bereich geschaffen. Die Arbeit war interessant, ich arbeitete zusammen mit ehemaligen Studien- und Dienstkameraden, den Fregattenkapitänen Harald Genzow, Claus Opitz und Bruno Hampel. Ungewohnt war für mich die geregelte, beinahe normale Arbeitszeit. Eigentlich hätte ich zufrieden sein müssen, endlich hatte ich mehr Zeit für meine Familie. Aber das Gegenteil war der Fall: Mir fehlte die Arbeit mit der Truppe, die direkte Verantwortung für Unterstellte. Manchmal kam ich mir irgendwie sogar überflüssig vor.

Damit wird verständlich, dass ich sofort reagierte, als ich Anfang des Jahres 1983 von Fregattenkapitän H. Genzow darüber informiert wurde, dass die Indienststellung eines Küstenraketenregiments mit der Raketenbewaffnung „P-21/P-22“, die verbesserte „P-15“, mit Standort Schwarzenpfost/Gelbensande, ungefähr 20 km östlich Rostock, geplant war und dafür noch der Kommandeur gesucht würde. Mein Interesse war sofort geweckt und ich fragte ihn, ob er mir die Erfüllung dieser Aufgabe zutrauen würde. Da er meine Frage positiv beantwortete und auch meine anderen Kameraden zustimmten, machte ich mir ernsthafte Gedanken über dieses Problem. Das war eine riesige Aufgabe – ein neuer Truppenteil mit modernster Bewaffnung sollte aufgebaut werden!

Ich wusste aus meinem langjährigen Dienst, dass von dem Kommandeur eines selbständigen Küstenraketenregiments, das zudem mit eigenem Objekt zu formieren war, hohe Anforderungen gestellt und Voraussetzungen gefordert werden, die ich erfüllen musste:

  • Die Fähigkeit, eine sehr hohe Verantwortung zu tragen für das Leben und die Gesundheit von maximal sechshundert Unterstellten sowie für Technik, Bewaffnung und Ausrüstung mit hohem Vernichtungspotential und im Wert von mehreren Hundert Millionen Mark Volkseigentum.
  • Erfahrungen aus einem langjährigen Dienst als Kommandeur operativer Einheiten und Truppenteile.
  • Umfangreiche Kenntnisse und praktische Erfahrungen beim Einsatz der Raketenbewaffnung.
  • Umfassende Kenntnisse der russischen Sprache: Die Originaldokumentation, die Beschriftung der Raketentechnik und die Kommandosprache waren Russisch, die Entschlussmeldungen im Zusammenwirken und die Verständigung mit den sowjetischen Spezialisten sowie unseren Waffenbrüdern erfolgten in russischer Sprache.


Der Minister für NV, der Chef der VM, der Kommandeur des KRR-18 und der Kommandeur der 1.KRA 1984.

Ausgehend von einer Selbstanalyse und nach tiefgründigen Überlegungen hielt ich mich für die Erfüllung dieser anspruchsvollen Aufgabe geeignet. Dazu kam, dass es schon immer mein Wunsch gewesen war, Kommandeur eines selbständigen Truppenteils zu sein, das heißt, direkt dem Chef der Volksmarine unterstellt, dazu noch mit eigener Dienststelle, einem ganzen Objekt. Ich wusste, dass die Erfüllung dieser Aufgabe meine höchste persönliche Einsatzbereitschaft erfordern und damit wesentliche Einschnitte für mein Familienleben mit sich bringen würde. Deshalb sprach ich zunächst mit meiner Ehefrau, ohne ihr Einzelheiten zu nennen. Sie war mit meinem Vorhaben einverstanden, sie wusste, dass mir die tägliche Arbeit mit den Unterstellten fehlte und es war ja keine große Entfernung von unserer Wohnung in Rostock Lütten-Klein bis Schwarzenpfost. Ungefähr im März 1983 bat ich Konteradmiral T. Hoffmann um eine Aussprache. Ich erhielt einen Termin und trug ihm meinen Wunsch vor, als Kommandeur des künftigen Küstenraketenregiments 18 zu dienen. Im persönlichen Gespräch musste ich ihm einige Fragen beantworten, er gab Hinweise und Ratschläge. Schließlich sagte er mir, dass er meinen Wunsch unterstützen und darüber mit dem Chef des Stabes, Vizeadmiral Gustav Hesse, und dem Chef der Volksmarine, Admiral Wilhelm Ehm, sprechen würde. Am 24.05.1983 wurde ich zur Kaderaussprache zum Chef der Volksmarine befohlen, Teilnehmer war der Chef Kader der Volksmarine, Kapitän zur See Dagobert Teuber, geliebt und gefürchtet ob seines geraden und offenen Auftretens. Ich begründete zunächst meinen Wunsch. Admiral W. Ehm kannte selbstverständlich meine Entwicklung in der Volksmarine und nahm darauf Bezug. Er stellte mir Fragen, wies mich auf Schwerpunkte und Schlussfolgerungen aus meiner bisherigen Dienstzeit hin und erläuterte mir die bevorstehende Aufgabe. Die Aussprache endete mit seiner Feststellung, dass er mich dem Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Hoffmann, für den Einsatz in die Dienststellung Kommandeur des Küstenraketenregiments 18 vorschlagen werde. Entscheidend dafür waren meine Leistungen als Kommandeur während meiner Dienstzeit in der Volksmarine. Während der Aussprache überraschte mich der Chef der Volksmarine mit der Information, dass er sogar schon eine Wohnung für meine Familie in Gelbensande reserviert habe. Das war unmittelbar beim Objekt Schwarzenpfost des neuen Truppenteils. Ich bedankte mich für seine Fürsorge, bezweifelte aber in Gedanken, dass sich meine Familie über den Umzug freuen würde! Wir wohnten in Rostock, dort war die Arbeitsstelle meiner Frau und unsere Kinder gingen hier in die Schule. Für mich dagegen war der Umzug schon aus Gründen der Gefechtsbereitschaft eine Selbstverständlichkeit, der Kommandeur eines operativen Truppenteils musste ständig und nicht nur telefonisch erreichbar sein. Brauchte ich von Rostock ca. 90 Minuten von der Benachrichtigung bis zum Eintreffen im Objekt, so waren das von Gelbensande ein paar Minuten. Außerdem wurde durch das gemeinsame Wohnen in Gelbensande das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Berufssoldaten und ihrer Familien gefördert, auch die Probleme in unserer Freizeit waren dadurch die gleichen. Ich kannte das bereits von meinem Dienst in der 6. Flottille und dem damit verbundenen Wohnen in Dranske. Während meiner Dienstzeit im Regiment gab es diesbezüglich auch keine Sonderregelungen. Der Regimentskommandeur und seine direkten Unterstellten wohnten alle in Gelbensande, dazu kamen noch als Wohnorte für die anderen Berufssoldaten zusätzlich der Wohnblock am Objekt Schwarzenpfost, Rövershagen und später Ribnitz-Damgarten. Dass dieses Prinzip nach meiner Versetzung zum Nachteil des Regiments geändert werden konnte, war für mich sehr verwunderlich.

Schema der Führung und der Führungsorgane des Küstenraketenregiments 18, Original aus dem „STAN 90“

Die Entscheidung des Chefs der Volksmarine über meinen geplanten Einsatz als Kommandeur des Küstenraketenregiments 18 war meinem direkten Vorgesetzten, Konteradmiral T. Hoffmann, bekannt. Deshalb unterstützte er mich, indem er mir eine längerfristige Vorbereitung auf die Arbeit in dieser Dienststellung ermöglichte. Unter anderem erteilte er die Weisung, mich in den „Stellenplan und Ausrüstungsnachweis des Küstenraketenregiments 18“ („STAN“) einzuweisen. Das geschah unter höchster Geheimhaltung durch Fregattenkapitän Klaus Schwenke, mit dessen kameradschaftlicher Hilfe ich einen tieferen Einblick in die Personal- und Organisationsfragen erhielt. Im Wesentlichen war dieser „STAN“ abgeleitet von dem der beiden Raketenbrigaden der Landstreitkräfte, die mit den gleichen Basisfahrzeugen „MAZ-543“, aber mit Operativ-Taktischen Raketen (OTR; NATO-Code: SCUD B) ausgerüstet waren. Allerdings waren der Personalbestand und auch die Sicherstellungstechnik auf ein Minimum zusammengestrichen worden. Das führte dann in der Praxis zu großen Problemen, die aber, obwohl dringend erforderlich, nie vollständig beseitigt wurden.

Kommandeur und Stellvertreter in Erwartung hohen Besuchs zur Indienststellung des Küstenraketenregiments 18.

Unsere effektive Zusammenarbeit setzte ich auch später fort, immer mit dem Ziel, durch notwendige Veränderungen die Kampfkraft des Regiments zu erhöhen. Sehr überrascht war ich, als 1986 im „STAN 90“ plötzlich die Planstelle einer Regimentszahnärztin auftauchte, die meine Frau dann besetzen konnte. Bestimmt hatte ich ihm das zu verdanken, er kannte ihren Beruf.

Bei unseren zahlreichen Gesprächen über das neue Regiment fielen mir Besonderheiten auf, die ich aus meiner früheren Tätigkeit, zuletzt als Brigadechef in der 6. Flottille, nicht kannte. Während an Bord nur Freiwillige dienten, Soldaten auf Zeit (SAZ) drei Jahre, meistens Abiturienten, ein hoher Prozentsatz an Berufssoldaten und der Rest Unteroffiziere auf Zeit (UAZ) 4 Jahre, war es im Küstenraketenregiment 18 beinahe umgekehrt. Hier dienten ungefähr 40% des Personalbestandes als Soldaten im Grundwehrdienst (GWD) 18 Monate, 25% als UAZ und nur 35% als Berufssoldaten. Ich erkannte sofort die Probleme, die sich daraus ergaben. Das waren bezüglich der Matrosen im Grundwehrdienst die kompliziertere Motivierung und Schwierigkeiten bei der Meisterung der modernsten Technik auf Grund der um 50% (!) kürzeren Dienstzeit. Außerdem fiel mir auf, dass der Personalbestand insgesamt auf der Basis des Minimums festgelegt war. Die Ursachen dafür lagen darin, dass das Küstenraketenregiment 18 bis zur Auflösung der NVA der einzige Truppenteil der Volksmarine blieb, der vollkommen neu in Dienst gestellt wurde. Da die maximale zahlenmäßige Stärke der Teilstreitkraft Volksmarine aber festgeschrieben war und auf keinen Fall überschritten werden durfte, mussten alle für das neue Regiment geplanten Stellen in anderen Truppenteilen und Einheiten gestrichen werden. So waren zum Beispiel die Raketentransporteinrichtungen „KRAZ-255 B“, beladen mit zwei Raketen für die Startrampen, nur mit einem Kraftfahrer im GWD mit geringer Fahrpraxis besetzt, ein sehr hohes Risiko und eigentlich nicht zu verantworten. Ich sprach diese Probleme sofort an, aber die Antwort war verständlicherweise: Erstmal die Praxis abwarten. Dort änderte sich dann auch nichts, aber wir halfen uns in diesem konkreten Fall, indem wir versuchten, immer einen zusätzlichen Mann mitfahren zu lassen. Neue Planstellen gab es selten, aber Umbesetzungen innerhalb des Regiments waren später möglich und wurden von uns bei Notwendigkeit auch vorgenommen.     

Ich hatte allerdings noch ein persönliches Problem. Meine Frau war noch nicht über unseren, durch den Chef der Volksmarine bereits festgelegten, Umzug nach Gelbensande informiert. Neben den zahlreichen Nachteilen gab es für unsere Familie aber auch einen wesentlichen Vorteil. Wir bewohnten in Lütten-Klein nur eine 2½- Zimmerwohnung und benötigten dringend eine größere Wohnung. Das war in Rostock schwierig, aber in Gelbensande sofort möglich. Die Zeit lief, ich musste in dieser Angelegenheit dringend handeln. Und so lud ich meine Frau an einem Sonntag im Juli, natürlich bei schönem Wetter, zu einem gemeinsamen Besuch in „meine“ zukünftige Umgebung Gelbensande ein. Wir wanderten durch den Ort am Waldrand der Rostocker Heide und besichtigten das große, fast fertige Wohngebiet. Alles gefiel meiner Frau, aber sie zog keine persönlichen Schlussfolgerungen daraus. Ich hielt mich noch zurück, wollte das Ganze taktisch klug vorbereiten. Wenig später führten wir dann darüber eine ausführliche Aussprache. Ein positives Argument war die größere Wohnung, endlich separate Zimmer für die beiden Kinder. Außerdem könnte ich bei meiner durch den anstrengenden Dienst wesentlich eingeschränkten Freizeit bei der geringeren Entfernung zwischen Dienststelle und Wohnung bedeutend schneller und öfter bei meiner Familie sein. Dagegen standen der Umzug aus dem geliebten Rostock und die tägliche Fahrt mit dem Auto oder Zug zur Arbeitsstelle für meine Frau bzw. Schule für unseren Sohn nach Rostock und zurück. Schließlich einigten wir uns auf den Umzug und auch die Kinder waren einverstanden. Die Kosten für die monatliche Miete warm dieser Wohnung in Gelbensande betrugen übrigens 125 Mark der DDR!


Das Wohngebiet in Gelbensande, ganz oben in der Mitte unsere Wohnung.

An einem anderen Wochenende konnten wir die für uns vorgesehene Wohnung Rosinenberg 13 besichtigen. Diesmal wurden wir durch den Kommandeur der Küstenraketenabteilung 18, ab 01.11.1983 Stabschef des Regiments, Fregattenkapitän Kurt Stippkugel, und seinen Politstellvertreter, später Leiter der Politabteilung des Regiments, Korvettenkapitän Hans-Joachim Helm, empfangen und geführt. Kurt erklärte uns, dass er diese Wohnung ursprünglich für sich vorgesehen hatte, nun aber doch nicht umziehen würde und sie mir deshalb zur Verfügung stünde. Die Wohnung hatte 2 2/2 Zimmer und war im obersten Stock. Der Block stand parallel zur Fernverkehrsstraße F-105, heute B-105. Demzufolge hatte man vom Balkon (Loggia) eine herrliche,

weite Aussicht nach Südosten auf die Straße und die Orte Willershagen und Blankenhagen. Insgesamt war es vom Wohnungstyp her unsere bisher beste Wohnung und dazu noch mit Balkon, was sonst nur bei Stadtwohnungen üblich war. Ich fertigte schnell eine Skizze mit dem Grundriss der Wohnung an. Wir bedankten uns, fuhren nach Hause und begannen mit der Planung des Einrichtens der Wohnung, des Möbelkaufs und des Umzugs. Der erfolgte dann im Oktober.

Konteradmiral T. Hoffmann unterstützte mich auch weiterhin, indem er mich bereits ab 01.10.1983 von meiner bisherigen Dienststellung im Stab der VM freistellte. So konnte ich meinen Dienst in der neuen Dienststelle bereits einen Monat vor der Indienststellung des Regiments antreten. Außerdem musste ich in dieser Zeit noch meinen Umzug von Rostock nach Gelbensande bewältigen. Im Ergebnis war die Familie, das wichtige Hinterland eines Offiziers, erstmal zufrieden und akzeptierte voll meine Konzentration auf den komplizierten Dienst. 

Im Objekt Schwarzenpfost wurde ich als der zukünftige Kommandeur vorgestellt. Daraus konnten keine Probleme resultieren. Da das Küstenraketenregiment 18 noch nicht existierte, gab es demzufolge auch noch keinen Kommandeur, und so verhielt ich mich. Aus meiner bisherigen Dienstzeit war bekannt, dass ich an meine Unterstellten hohe Forderungen zur Aufgabenerfüllung stellte. Was weniger beachtet wurde war mein, für mich persönlich äußerst anstrengendes, wichtigstes Führungsprinzip: Vorleben und Vormachen, immer Vorbild sein! Alles, was ich von meinen Unterstellten forderte, galt zuerst auch für mich.                                       

Diesen einen Monat Vorlauf nutzte ich, um mir einen Überblick zu verschaffen über:

  • Den gesamten Personalbestand, vor allem aber die mir direkt Unterstellten.
  • Die Struktur und Organisation des Dienstes im Objekt und in den Einheiten.
  • Die modernste Raketentechnik, die Selbstfahrende Startrampe (SSR), die Raketen „P-21/22“, die Regeltechnik und Auftank- und Transportanlagen (ATA), die Raketentransporteinrichtungen (RTE) „KRAZ-255 B“ u. a.
  • Das umfangreiche Baugeschehen im Objekt.

Dabei war ich ständig unterwegs im Objekt, sah mir alles an und führte zahlreiche persönliche Gespräche. Abschließend erarbeitete ich für mich eine persönliche Analyse der Ausgangslage und der sich daraus ergebenden Aufgaben. Diese war sehr umfangreich, konnte aber auf Grund der geringen Zeit nicht tiefgründig sein. Für mich bildete sie anschließend die Grundlage für die Bewältigung der anstehenden, vielfältigen Probleme.

Die Führung des Küstenraketenregiments 18 mit dem Kommandeur der RTA-4, hinten Mitte, 1984.

In dieser Analyse kam ich zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Zu meinen zukünftigen unmittelbaren Mitarbeitern hatte ich einen ersten positiven, kameradschaftlichen Kontakt hergestellt. Dabei erkannte ich ein Problem: Der Kommandeur der Küstenraketenabteilung 18, Fregattenkapitän K. Stippkugel, mein zukünftiger 1. Stellvertreter und Stabschef, hatte erwartet, als Kommandeur des Regiments eingesetzt zu werden und fühlte sich nun übergangen. Nachdem ich das bemerkte, sprach ich mit ihm kameradschaftlich über dieses Problem, da ich daran keinen Anteil hatte. Endgültig klärte sich das mit seiner Versetzung in den Stab der Volksmarine.
  • Im Regiment waren 12 Planstellen für Zivilbeschäftigte vorgesehen, dafür wurden die der Küstenraketenabteilung 18 alle übernommen. Die noch freien Stellen wurden größtenteils durch Frauen unserer Berufssoldaten besetzt. Sie waren alle Mitglieder des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und bildeten eine Gewerkschaftsgruppe unter der Leitung des gewählten Vorsitzenden Jürgen Berger. Die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft musste ich noch erlernen. Dazu war der Kontakt mit allen Zivilbeschäftigten herzustellen, um ihre Potenzen beim Aufbau des Regiments zu nutzen.
  • Im Politisch-moralischen Zustand des Personalbestandes (PoMoZu) gab es noch erhebliche Mängel. Die Ursachen lagen in der kurzfristigen Zusammenführung der Armeeangehörigen aus vielen verschiedenen Einheiten. Als Beispiel möchte ich nur meine direkten Unterstellten anführen:
  1. Der Stellvertreter des Kommandeurs und Leiter der Politabteilung, Korvettenkapitän Hans-Joachim Helm, hatte gerade das Studium an der Lenin-Akademie in Moskau abgeschlossen.
  2. Der Stellvertreter für Raketenbewaffnung, Kapitänleutnant Wolfgang Schädlich, desgleichen an der Seekriegsakademie Leningrad (heute Sankt Petersburg).
  3. Der Stellvertreter für Technik/Ausrüstung, Kapitänleutnant Hans- Jürgen Galda, an der Militärakademie in Dresden.
  4. Der Oberoffizier Finanzökonomie, Oberleutnant Frank Kretzschmann, an der Humboldt-Universität in Berlin.
  5. Der Stellvertreter für Rückwärtige Dienste, Fregattenkapitän Bernd Moritz, war aus der 6. Flottille zuversetzt worden.
  6. Der Oberoffizier Kader, Oberleutnant Sascha Teuber, kam aus der 4. Flottille.
  7. Nur der Stabschef des Regiments und der Kommandeur der 1. Küstenraketenabteilung, Korvettenkapitän Uwe Lonitz, hatten bereits in der Küstenraketenabteilung 18 zusammen gedient.

Aus dieser Aufstellung ist das hohe theoretische und praktische Niveau der Führung des KRR-18 ersichtlich. Aber daraus ergibt sich auch das Hauptproblem: Für uns alle war alles neu, die Umgebung, die Kameraden, die Unterstellten, die Vorgesetzten, die Technik und Bewaffnung. Der Schwerpunkt unserer Arbeit konnte demzufolge nur sein: Den Personalbestand unverzüglich zu lehren, unter einem einheitlichen Kommando und nach einheitlicher Idee zu handeln, sich dabei auf die unverzügliche Formierung der vielen verschiedenen Kollektive zu konzentrieren und sich die notwendigen theoretischen Fachkenntnisse anzueignen. Weiterhin stellte ich einen unbefriedigenden Zustand der militärischen Disziplin und Ordnung fest. Neben objektiven Ursachen lag das auch zum Teil an Mängeln in der Erziehungsarbeit der Vorgesetzten, bekanntlich fängt der Fisch am Kopf an zu stinken!

Zwei wesentliche Argumente wurden für die Motivierung des Personalbestandes zur Erfüllung der Aufgaben nicht oder nur ungenügend genutzt. Das war der Stolz auf die Zugehörigkeit zur Marine überhaupt und im Besonderen zum wichtigsten Truppenteil der Stoßkräfte der Volksmarine mit modernster Raketenbewaffnung.  Die Ursachen dafür lagen in der Führung der Küstenraketenabteilung 18, die einseitig den Dienst als „Landeinheit“ herausstellte und die gewaltigen Gefechtsmöglichkeiten der neuen Raketenbewaffnung noch nicht voll erkannt hatte. Hier mussten dringend Marinetraditionen und die Raketentechnik populär gemacht werden, der Dienst danach organisiert und unter anderem der Rahmendienstplan für die fahrenden Einheiten der Volksmarine mit seemännischen Begriffen eingeführt werden. Dazu gehörte auch die Erarbeitung einer Signaltabelle für den Raketenangriff der Startrampen in russischer Sprache, entlehnt von den Raketenschnellbooten, und der Rollen für die Besatzungen der Startrampen.

Eine Selbstfahrende Startrampe (SSR) des KRR-18 in Fahrt im Objekt Schwarzenpfost.