Gefechtsdienst, Gefechtsbereitschaft

Die Auslösung von höheren Stufen der Gefechtsbereitschaft begann mit einem bis ins Detail durchorganisierten Alarmierungsplan. Ausgelöst wurde der Alarm auf Weisung des Ministers für Nationale Verteidigung durch das Operative Führungszentrum des Ministeriums für Nationale Verteidigung mittels gedeckter Nachrichtenverbindungen zu den Kommandos der Teilstreitkräfte, von dort weiter über die „S-1“-Telefonverbindung (Sondernetz) zu den unterstellten Verbänden, Truppenteilen, Einheiten und Einrichtungen. Auf diesem Netz hatte jede Einheit der NVA einen Tarnnamen und jede Dienststellung eine Tarnzahl. Für das KRR-18 war das z.B. der Tarnname „Stirnhöhle“ und der Kommandeur hatte die Tarnzahl „750“. Die auszulösende Stufe der Gefechtsbereitschaft wurde mittels Kennwort übermittelt. Zu diesen Kennwörtern existierten bei den Diensthabenden der Einheiten petschierte Kuverts, die dann geöffnet werden mussten. Die darin enthaltenden Befehle waren auszuführen. Dazugehörige Zyklogramme mit Normzeiten und Handlungen/Weisungen befanden sich ebenfalls unter Verschluss im Panzerschrank des entsprechenden Diensthabenden. Diese Dokumente wurden aktenkundig bei jedem Dienstwechsel übergeben.
So waren auch im Küstenraketenregiment 18 alle Handlungen mit Verantwortlichkeiten sowie Beginn- und Endzeiten in einem Zyklogramm genauestens erfasst, wie z.B.:

–   Die Alarmierung des im Objekt befindlichen Personalbestandes.
–   Die Handlungen zur Heranholung des Personals aus den umliegenden Wohngebieten.
–   Das Besetzen der Waffenkammer zur Ausgabe der Handfeuerwaffen.
–   Das Herstellen des Verdunklungszustandes.
–   Die sofortige Verstärkung der Objektsicherung.
–   Die Handlungen zum Klarmachen der Gefechtstechnik.

 

Der Inhalt des Kuverts.

Der Meldefluss bei Beginn und Abschluss der entsprechenden Handlungen war ebenfalls darin festgelegt. Damit war beim Diensthabenden, der die ein- und ausgehenden Meldungen mit Uhrzeit in dieses Zyklogramm eintrug, ein ständiger Überblick über den Stand des erreichten Zustandes der Einheiten gewährleistet. Bei Eintreffen des Kommandeurs konnte eine exakte Meldung zur Lage der eigenen Kräfte erstattet werden.

Die Heranholung des im Standort wohnenden Personalbestandes konnte ganzheitlich oder teilweise befohlen werden. Das erfolgte im KRR-18 über die durch den Nachrichtenzug installierten Telefonverbindungen im Wohnort Gelbensande und durch KRAD-Melder des Wachzuges sowie den strukturmäßigen Kraftfahrer für den PKW des Kommandeurs mittels Alarmkarten, auf denen der zu benachrichtigende Personenkreis und dessen Adressen vermerkt waren. Diese Alarmkarten wurden ständig präzisiert und einmal im Monat, an dem sogenannten „Tag der Gefechtsbereitschaft“, in der Praxis erprobt. Die im Standort wohnenden Angehörigen des Regiments wurden dann ebenfalls durch ein Codewort oder mit der Weisung, dass sie sich unverzüglich ins Objekt zu begeben hätten, alarmiert. In den 80er-Jahren wurde dieses System der Heranholung mehrfach überarbeitet. Das war notwendig, um die Aktivitäten bei der Erhöhung der Gefechtsbereitschaft geheim zu halten und je nach Lage gedeckt durchzuführen.

Dezentralisierung der Kräfte der VM bei „VG“

Die gedeckte Heranholung des Personals oder wichtiger Personen wurde im „Plan der Überführung des KRR-18 in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft“ festgeschrieben. Dieser Plan wurde 1984 erstmalig durch den Kommandeur des KRR-18 und mich erarbeitet und im Weiteren jährlich mit dem Stab der Volksmarine präzisiert. Für die jährliche Abstimmung des „Planes der Überführung des KRR-18 in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft“ war der Stabschef des Regiments verantwortlich. Für die Stabsoffiziere hieß das, mit mir so manche Zeit nach Dienstschluss gemeinsam in meinem Dienstzimmer zu verbringen. Während an einem Tisch notwendige, voneinander abhängige, Handlungen noch zeitlich abgestimmt wurden, begannen meine Mitarbeiter an anderen bereits die Pläne zu zeichnen und die Anlagen zu schreiben. Dafür, dass unser Stab gerade erst formiert worden war und außerdem keine Vorlagen für diese Dokumente existierten, erreichten wir 1984 eine beachtliche Qualität. Besonders stolz war ich auf die „Stabskultur“ der erarbeiteten Dokumente. Sicher half uns dabei auch der äußerst glückliche Umstand, dass fast alle Offiziere über eine teilweise brillante Handschrift verfügten und grafische Darstellungen einfach liebten. Bei der im Jahr 1987 durchgeführten Inspektion erhielt der Stab für diese Arbeiten berechtigt Anerkennung und Lob, sicherlich nicht nur wegen der hervorragenden Form, sondern auch wegen des ausgezeichneten Inhalts der erarbeiteten Dokumente.

Bei mir persönlich war diese Arbeit seinerzeit nicht sonderlich beliebt. Dank dem Elan meiner Stabsarbeiter konnte ich mich aber nach der Beendigung der Arbeiten recht stolz bei meinem Kommandeur melden und ihm die Dokumente zur Bestätigung vorlegen. Überrascht habe ich ihn allerdings damit nicht, auch er opferte viele Abendstunden dieser Tätigkeit und erklärte uns seine Erwartungen und Ideen vorab. Nicht selten hörte ich von Stabschefs anderer Einheiten und Truppenteile, dass einige ihren Kommandeuren mehrmals das gleiche Dokument überarbeitet vorlegen mussten. Sie äußerten ihren Unmut darüber, dass dabei eine Einweisung in die Aufgabe und in die Zielstellung nicht exakt erfolgte und sie nach der dritten Änderung immer noch mit Bauchschmerzen zur Bestätigung der Dokumente bei ihrem Kommandeur erschienen. Das war bei uns nicht der Fall. Die ohnehin knappe Zeit wurde effektiv durch eine klare Aufgabenstellung, Erläutern der Idee und des Zieles sowie der Bekanntgabe der Form genutzt. Notwendige Präzisierungen des Inhalts gab es aber aufgrund der sich laufend verändernden Situation und Lage der eigenen Kräfte ständig. Dabei mussten wir aber das „Fahrrad nicht mehr neu erfinden“!

Neben diesen Dokumenten mussten mit Indienststellung des Regiments auch die detaillierten Einsatzpläne für den Gefechtseinsatz der Startrampen, Startbatterien und Küstenraketenabteilungen erstmals erarbeitet werden. Auf topografischen Karten wurden die Stellungsräume eingezeichnet, aus denen oder in welchen bei höheren Stufen der Gefechtsbereitschaft Gefechtshandlungen durchzuführen waren. Diese Dokumente waren natürlich streng geheim und eigentlich vom Stab der VM zu erarbeiten. Dennoch wurde dem ersten Kommandeur des Küstenraketenregiments-18, Fregattenkapitän Lothar Schmidt, die Erarbeitung dieser Dokumente befohlen.

Auf Grund der hohen Geheimhaltungsstufe dieser Unterlagen konnte der Stab des Regiments nicht eingewiesen werden. Ich wurde damals in meiner Dienststellung als Stellvertreter des Kommandeurs für Raketenbewaffnung zur Erfüllung der Aufgabe befohlen, da der Stabschef, Fregattenkapitän Kurt Stippkugel, erkrankt war. Wie auch Lothar Schmidt in seinen Erinnerungen berichtete, fuhren wir die zahlreichen in Frage kommenden Geländeabschnitte zur Rekognoszierung ab. Von der Insel Rügen bis Kühlungsborn begutachteten wir unter dem Aspekt eines möglichen Gefechtseinsatzes unserer Startrampen praktisch jeden Küstenabschnitt, der von uns an Hand der topografischen Karte vorab ausgewählt wurde. Wir legten die „scharfen“ Stellungsräume und die Marschrouten für alle Einheiten fest und entschieden uns für die Startstellungen, von denen aus die SSR am effektivsten zum Einsatz kommen sollten. Der Raketeneinsatz musste aus den „scharfen“ Stellungen möglichst ungehindert und gedeckt erfolgen können, schnelle Manöver zur Einnahme und zum Wechsel der Räume sowie zum Beladen der Startrampen mit Raketen und der Unterbringung der Sicherstellenden Einheiten geeignet sein. Grundlage für diese Auswahl war die Gefechtsvorschrift DV 246/0/027 „Gefechtseinsatz der Küstenraketentruppen“.

Kartenausschnitt aus dem „Plan der Überführung in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft der VM“ (VG) (BA-MA)

Dabei wählten wir auch Stellungen aus, die zwar ideale Bedingungen für einen Einsatz boten, aber ohne umfangreiche pioniertechnische Vorbereitung nur schwer genutzt werden konnten. Unmittelbar vor Beginn der Kampfhandlungen hätten dann die entsprechenden Arbeiten, Rodungen von Waldstücken, Planieren von Unebenheiten und Schaffung von Durchfahrtrassen, durchgeführt werden müssen. Jede Stellung wurde genau vermessen und der Anschluss an ein vorhandenes Telefonkabelnetz, sogenannte Anschalt- oder Abholpunkte, geplant. Außerdem wurden diese Stellungsräume in die Gesamtpläne zur Überführung der Volksmarine in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft übernommen und dabei mit den anderen Plänen koordiniert. Damit wurde das Zusammenwirken der Schiffskräfte, Fliegerkräfte und nicht zuletzt der im Küstenstreifen handelnden Kräfte der Landstreitkräfte vorab organisiert. Zu beachten war, dass in diesen Räumen die Organisation aller Arten der Gefechtssicherstellung: Aufklärung, Tarnung, Funkelektronischer Schutz, Schutz vor Massenvernichtungsmitteln (MVM), Luftabwehr, Abwehr von Angriffen aus Richtung Land und natürlich die Organisation der dazu benötigten Nachrichtenverbindungen, gewährleistet sein musste. Im Ergebnis hatte der Kommandeur des KRR-18 dem Chef der Volksmarine einen Entwurf aller Unterlagen zu übergeben. Deshalb waren auch die Anforderungen an die „Stabskultur“ der Ausführung der Dokumente sehr hoch.

In der Gefechtsausbildung gingen wir damals davon aus, dass Aufgaben, die zu Friedenszeiten nicht trainiert werden, unter Gefechtsbedingungen kaum erfüllt werden können. Deshalb wurde nach Möglichkeiten gesucht, um unsere Kommandeure der KRA und der SSR mit allen geplanten Stellungen bekannt zu machen, ohne dabei die „scharfen“ zu enttarnen. Das war übrigens auch laut Dienstvorschrift DV 246/0/027 „Gefechtseinsatz der KRT“ gefordert. Im Herbst 1984 wurde dann auch die erste Rekognoszierung mit den Kommandeuren durchgeführt. An diese Maßnahme erinnere ich mich zwar sehr gut, allerdings nicht sehr angenehm. Bei der Besichtigung des Stellungsraums Darß machten wir kurz Rast auf einem Parkplatz in Ahrenshoop. Mittlerweile war ich als Stabschef des Regiments eingesetzt worden und somit wurde mir vom Kommandeur die VS-Tasche mit den geheimen Unterlagen anvertraut. Diese stellte ich nach Verlassen des Fahrzeuges auf dem Kübel „UAZ-469“, dem Geländekraftfahrzeug des Kommandeurs, hinter dem Scheinwerfer ab und behielt sie im Blick. Nach Beendigung der Pause setzten wir die Fahrt fort und nach kurzer Zeit stellte ich entsetzt fest, dass die Tasche fehlte. Ich informierte sofort meinen Kommandeur, wir kehrten um und nach erfolgloser Suche musste der Regimentskommandeur dem Chef der VM den Verlust der VS-Tasche mit den Dokumenten melden.

Inzwischen war die bei solchen „Besonderen Vorkommnissen“ übliche Maschinerie angelaufen und nicht mehr zu bremsen. Als wir nach der erfolglosen Suche im Objekt ankamen, erwarteten uns bereits Mitarbeiter der Militärabwehr (MfS), die sofort meine Befragung begannen und mich dann einen Bericht schreiben ließen. Jetzt traf aber die Meldung von der 6. Grenzbrigade Küste (6. GBK), dass die gesuchte VS-Tasche bei ihnen sei. Ein aufmerksamer Bürger, der als Grenzhelfer eingesetzt war, hatte sie gefunden und war zum Glück nicht so neugierig, hinein zu schauen. Er übergab die Tasche einer Dienststelle der 6. GBK im petschierten Zustand ab. Das rettete mir damals den Dienstgrad und die Dienststellung. Die Tasche holten dann besagte Mitarbeiter der Militärabwehr ab und stellten nach entsprechender Kontrolle die Unversehrtheit der Petschaft (Siegel) fest, mein Kommandeur hatte sie petschiert. Nach disziplinarer und parteilicher Auswertung war diese äußerst unangenehme Angelegenheit erledigt. Ich musste schnell wieder zurück zum Alltag finden, für den Stabschef gab es immer viel Arbeit.

Schema des Stellungsraums einer Küstenraketenabteilung aus der DV